: Kostenloser Strom für Militär und Rüstung
■ Beinahe-Katastrophe von Murmansk sorgt für Tschernomyrdins Rückzieher
Moskau/Berlin (dpa/taz) – Die russische Regierung hat den Energiebetrieben des Landes nach der Beinahe-Atomkatastrophe von Murmansk ausdrücklich untersagt, den Strom für Militärobjekte abzuschalten. Wie die Nachrichtenagentur ITAR-TASS gestern meldete, unterschrieb Regierungschef Viktor Tschernomyrdin eine entsprechende Anordnung. Russische Stromversorger hatten in den vergangenen Monaten mehrfach Atomanlagen der Armee wegen unbezahlter Rechnungen vom Netz genommen. Beim jüngsten Zwischenfall dieser Art am Donnerstag drohte der GAU (s. taz vom Samstag). Die Reaktoren von vier ausrangierten Atom-U-Booten in einem Marinestützpunkt bei Murmansk wären beinahe durchgebrannt. Die autonomen Kühlsysteme der Boote hätten sich nicht eingeschaltet, meldete ITAR- TASS. Dies wurde von der Flottenführung jedoch dementiert. Schon vor einem Jahr hatte ein ähnlicher Fall Aufsehen erregt, als für kurze Zeit die Stromversorgung des Kommandos der russischen Atomstreitkräfte abgeschaltet worden war. Grund waren auch damals unbezahlte Stromrechnungen. Auch das Kosmodrom und der Militärübungsplatz der russischen Streitkräfte in Plessezk (Nordrußland) war jüngst von einer Stromabschaltung betroffen.
Tschernomyrdin bezeichnete das Vorgehen der Strombetriebe in seiner Verfügung als „verantwortungslos und unzulässig“. Dieses Verhalten widerspreche „den Interessen der nationalen Sicherheit des Landes“, erklärte der Regierungschef, wie die Nachrichtenagentur Interfax meldete.
Die Anordnung, den Strom künftig auch bei unbezahlten Rechnungen nicht mehr abzuschalten, gilt dem Bericht zufolge auch für alle Betriebe der Rüstungsindustrie. Die neue Weisung Tschernomyrdins steht dabei Anordnungen aus dem Frühjahr entgegen, mit denen es die Regierung den Stromerzeugern ausdrücklich erlaubt hatte, gegen säumige Schuldner so vorzugehen.
Rußlands schon relativ dezentralisierte Stromkonzerne sind stark betroffen von der derzeit miserablen Zahlungsmoral russischer Firmen. Weil die Stromerzeuger nach wie vor Monopole mit Versorgungspflichten sind, werden ihre Rechnungen von den Kunden häufig genug nicht bezahlt. Auch verspätet bezahlte Rechnungen kosten die Stromkonzerne wegen der hohen Inflation teures Geld.
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