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Floskeln und Nebenkriegsschauplätze

Beim Nachdenk-EU-Gipfel in Mallorca dachten die Regierungschefs wenig nach. Jeder Regierungschef pickte sich anschließend als Gipfelergebnis heraus, was ihm paßte  ■ Aus Alcudia Alois Berger

Bundeskanzler Helmut Kohl will für den Ausbau der EU zu einer echten politischen Union seine „völlige politische Existenz einbringen“. Zum Abschluß des zweitägigen Nachdenk-Wochenendes der 15 Staats- und Regierungschefs der EU auf der Mittelmeerinsel Mallorca wiederholte Kohl seine Standardfloskel, daß für Europessimismus „nicht der geringste Grund“ bestehe. Genau dieser Eindruck entstand jedoch auf Mallorca, was damit zu tun haben könnte, daß einige Regierungschefs die Ergebnisse der Konferenz sehr unterschiedlich zusammenfaßten.

Bei dem Treffen wollten die EU-Chefs die Grundlinien für die Regierungskonferenz 1996 diskutieren, bei der die EU für die Währungsunion und für die Osterweiterung vorbereitet werden soll. Während Kohl nach wie vor am Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und einer engeren Zusammenarbeit in der Innenpolitik festhält, zählte der britische Premierminister John Major die Schwierigkeiten auf, die er für kaum überwindbar hält. „Ich könnte 20 Minuten lang die Fragen auflisten, die noch nicht einmal geprüft sind.“ Der französische Staatspräsident Jacques Chirac brachte erneut die variable Geometrie ins Spiel, was heißen soll, daß sich jedes Land aus dem Kuchen herauspicken soll, was ihm schmeckt. Das eigentliche Problem, wie die Institutionen umgebaut und auf möglichst allen Ebenen Mehrheitsentscheidungen eingeführt werden können, damit die EU überhaupt in der Lage ist, neue Mitglieder zu verdauen, wurde kaum angesprochen. Immerhin, so Kohl, gehe man jetzt davon aus, daß die Konferenz im ersten Halbjahr 1996 beginnen und etwa ein bis eineinhalb Jahre später zu Ende gehen soll. Ein genaues Datum steht noch nicht fest.

Je weniger die Regierungschefs beim Hauptthema aufeinander zugingen, desto inniger begegneten sie sich auf den Nebenkriegsschauplätzen. Zum Beispiel der Ausrutscher des deutschen Finanzministers Theo Waigel, der mit seinen Äußerungen über Italien und Belgien die Währungsmärkte durcheinandergewirbelt hatte. Waigel hatte am Mittwoch letzter Woche in einer nichtöffentlichen Sitzung des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag gesagt, daß Italien für die Währungsunion nicht in Frage käme und auch Belgien Probleme habe. Diese Bemerkungen hatten aber erheblichen Einfluß auf das Klima der Konferenz. Bundeskanzler Kohl wurde von seinem italienischen Kollegen verdonnert, Waigels Ansichten in einem Interview im italienischen Fernsehen RAI abzumildern, damit sich die abgestürzte Lira wieder erholen könne. Ein spanischer Diplomat konnte sich gerade noch rechtzeitig bremsen, als er Waigel Journalisten gegenüber als „Sohn einer ...“ bezeichnen wollte. Ein dänischer Politiker drückte sich gewählter aus: Waigel habe in zwei Minuten zerstört, was man mühsam in zwei Monaten aufgebaut habe. Gemeint war die langsame Heranführung der italienischen Währung an das Europäische Währungssystem. Der britische Premier John Major nutzte die Aufregung, um seine alte Ansicht zu unterstreichen, daß die Einführung einer gemeinsamen Währung enorme Gefahren mit sich bringe. Es sei nicht gut für die EU, Gemeinsamkeiten erzwingen zu wollen, meinte er.Siehe auch S. 10

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