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"Nicht bei Muttern SPD anlehnen"

■ Der Grünen-Fraktionschef Joschka Fischer bezweifelt, daß sich die SPD reformpolitisch wieder berappelt, und fordert seine Partei auf, sich der Wirtschaft zuzuwenden, für eine ökologische Partei sei sie das

taz: Die SPD liegt am Boden. Sollen die Grünen nun auf Schwarz-Grün setzen?

Joschka Fischer: Nein. Ich halte die Schwarz-Grün-Debatte für eine Gespensterdebatte angesichts der Unvereinbarkeit in wichtigen Politikfeldern. Für uns stellt sich allerdings die Frage nach der Arbeitsteilung zwischen Grünen und Sozialdemokraten. Sie sagen, die SPD sei am Boden. Ich sage: Die SPD wird sich wieder berappeln. Die Frage ist allerdings, ob sie sich reformpolitisch wieder berappeln wird. Da bin ich auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen der letzten Monate, vor allem nach den Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen, sehr, sehr skeptisch. Wir müssen also, wenn wir 1998 allen Ernstes eine reformpolitische Alternative zu Kohl mit Aussicht auf Erfolg anstreben, unseren eigenen reformerischen Realismus weiterentwickeln. Mit dem Ökosteuer-Konzept haben wir das gemacht. Es geht in meinem Papier um eine Schwerpunktsetzung für unsere Politik vor dem Hintergrund umwälzender gesellschaftlicher Entwicklungen, nämlich der Globalisierung und ihren Auswirkungen auf die Sozialverfassung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist alles.

Was, wenn die SPD nicht zulegt?

Dann ist die Antwort ganz einfach: Dann sind wir Opposition auch nach der Bundestagswahl 1998.

Wie soll die Arbeitsteilung mit der maladen SPD aussehen?

Bisher war es doch so: Wir standen für das Neue, waren für den Anstoß, für den radikalen Überschuß zuständig. Dann gab es die reformerischen Pragmatiker bei der SPD, die unsere Forderungen auf Finanzierbarkeit und Durchsetzbarkeit prüften. Wenn es ging, gab es eine gemeinsame Koalition. Das funktioniert aber so nicht mehr. Wir sind die dritte politische Kraft in der Bundesrepublik und können uns nicht mehr bei Muttern SPD anlehnen. Weil die SPD als Oppositionskraft weitgehend ausfällt, wird die Hauptlast der Erarbeitung einer mehrheitsfähigen Reformalternative bei uns liegen. Wir müssen fragen: Wie kann ich Leute gewinnen für meine Positionen, indem ich meine Visionen konkret mache? Diese Aufgabe steht vor uns. Die Grünen sind gezwungen, politisch erwachsen zu werden. Der subkulturelle Abschnitt in unserem politischen Leben geht zu Ende.

Jürgen Trittin spricht von einer „Steilvorlage“ für Schwarz-Grün- Freunde.

Schlichter Blödsinn. In der Diskussion in der Fraktion ist niemand auf die Idee gekommen, das Papier sei eine Steilvorlage für eine ökolibertäre Rechtswende. Ich messe dem Bestand unseres Sozialstaates im Gegenteil eine überragend Bedeutung bei. Ist das neuerdings rechts? In diesem Punkt bin ich eher ein traditioneller Linker und warne davor, subsidiären Illusionen hinterherzulaufen und die Bedeutung staatlicher Daseinsfürsorge zu unterschätzen. Ich frage danach, wie wir diese Sozialstaatsstrukturen fortentwickeln können. Denn fortentwicklen müssen wir sie, weil die Bedingungen in dieser Gesellschaft sich radikal ändern. Wir müssen darauf reagieren, daß unter dem Druck der Globalisierung die demokratische Rechte den Sozialstaat in Zukunft mehr und mehr in Frage stellen wird mit dem Argument, er sei zu teuer. Aber was sind unsere Alternativkonzepte? Wenn wir die Antworten auf diese Frage nicht in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen, dann werden wir bei einer bloßen Defensivstrategie bleiben und zusehen, wie der Sozialstaat Stück für Stück zerschlagen wird. Insofern verstehe ich die Kritik an meinem Papier überhaupt nicht. Man muß doch mal über den Tag hinausdenken können, ohne daß jede neue Idee gleich als Verrat gebrandmarkt wird. Für uns ist nichts so gefährlich wie langweiliger Dogmatismus.

Beugen sich die Grünen nicht konservativen Vorgaben, wenn sie statt über politische Ziele nun über Haushaltskonsolidierung brüten?

Ganz und gar nicht. Wir müssen auf diesem Feld zu eigenen Konzepten und Schwerpunktsetzungen kommen. Nicht weil wir das so gerne wollen, sondern weil die Realität es erzwingt. Wir können doch nicht so tun, als ob es auf Bundesebene nicht die Realität gäbe, die unseren Verantwortlichen auf kommunaler und Landesebene schon längst zu schaffen macht. Eine rot-grüne Regierung, die 1998 drankommt, wird sich Reformspielräume unter den Bedingungen enorm hoher Schulden erarbeiten müssen. Wir wollen doch nicht nach dem Rasenmäherprinzip staatliche Leistungen kappen. Aber wir müssen belegen, wie wir unsere großen Ziele umsetzen und bezahlen wollen. Deshalb brauchen wir eine eigene schlüssige finanzpolitische Strategie. Das werden bei uns auch die Linken einsehen müssen. Ich will nicht, daß sie ihre Positionen aufgeben. Aber auch sie müssen den Schritt machen, ihre Ziele auf die Durchsetzbarkeit zu prüfen.

Können Sie sich vorstellen, daß ein grüner Parteitag einmal den Satz bejubelt: „Wir sind die Partei der Haushaltskonsolidierung“?

Die Aussage wird doch sein: Wir haben den Haushalt konsolidiert und sind deshalb nun in der Lage, eine ganze Reihe grundlegender Reformprojekte zu verwirklichen. Dafür wird es dann Beifall geben. Haushaltskonsolidierung ist doch kein Selbstzweck. Gerade die taz müßte doch wissen, daß Konsolidierung nicht alles ist, daß aber umgekehrt ohne Konsolidierung alles nichts ist.

Da ist viel von Mittelstandspolitik und Deregulierung die Rede, da heißt es, die Wirtschaft sei das Schicksal der Staaten.

Das ist doch keine Verbeugung vor den Gralshütern des Marktes. Für eine ökologische Partei ist die Wirtschaft das Schicksal. Die ökologische Antwort auf die Widersprüche der konsumistischen Wachstumsgesellschaften bildet den Kern unseres Programms und unserer Existenz als Partei. Wenn jetzt nicht die Reformer in diesem Land das Konzept ökologischer Umbau unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit durchdeklinieren und damit für 1998 ein Klima des Wandels produzieren, wie soll denn dann die Politik in Bonn jemals eine Veränderung erfahren? Interview: Hans Monath

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