■ Im Wortlaut
: Die Flüchtigkeit des Passantendaseins

Der 44jährige Fensterputzer Kurt Wimmer putzt seit fünfzehn Jahren Fenster und Glasfassaden. Seit den Anfangszeiten der taz sorgt Wimmer auch dort für den Durchblick.

Es gibt eine Philosphie zwischen den Fenstern und mir: In irgendeiner Form habe ich das Gefühl, das ganze Haus ist meins. Auch wenn in einer Kneipe der Mieter, also der Besitzer der Fenster, wechselt, bleiben die Fenster trotzdem meine. Wenn ich die Arbeit dann nicht mehr kriege, oder wenn in einen Altbau neue Fenster eingebaut werden, bin ich traurig. Dann ist ein Stück meiner Geschichte weg.

Beim Putzen hängen meine Gedanken vom Gefährlichkeitsgrad ab und davon, ob ich allein in einem leeren, gerade renovierten Haus oder in einem Großraumbüro arbeite. Wenn kein Mensch um mich herum ist, hänge ich den irrsinnigsten Tagträumen nach. Meinetwegen schönen Frauen und was damit zu tun hat, oder ich denke an die nächste Reise. Das hängt auch von der Tagesform ab. Zwischen euphorischen und depressiven Zuständen habe ich wie alle anderen Menschen auch die ganze Palette zur Verfügung. So lebe ich dann auch. Es kann dann auch passieren, daß ich eine Scheibe zweimal putze.

Es macht mir relativ wenig aus, wenn mir die Leute beim Arbeiten zugucken. Das Gefühl des Beobachtetseins, der Scham oder der Kontrolle habe ich nicht mehr. Manchmal, wenn ich längere Zeit an einer großen Glasfassade bin, und ich die Leute beobachten kann, ist es interessant, sich Gedanken zu machen: Was denken die Leute über mich, haben sie Langeweile, haben sie ausgeschlafen, wie ist die Stimmung im Büro. Ganz selten kommt es vor, daß irgendwelche Menschen mich ansprechen. Es gibt viele Blickkontakte. Im Einzelfall schaue ich auch schon mal schönen Frauen hinterher. Aber durch die Flüchtigkeit des Passantendaseins gibt es ganz selten echte Kontakte.

Sobald das Gefühl der motorischen Kontrolle nur ein bißchen zurückgeht, höre ich sofort auf zu arbeiten. In der Regel arbeite ich fünf Stunden am Tag. Bei mir putze ich ungern Fenster. Die sind nicht allzu sauber. Das letzte Mal vor einem Vierteljahr. Das mache ich dann nur aus einer Frustsituation heraus, um mich abzureagieren.

Die taz kenne ich schon aus der Wattstraße. Dort war die Stimmung teilweise sehr chaotisch. Damals bin ich sehr gerne dort zum Putzen gefahren, weil es so im Gegensatz zum üblichen Büroleben stand. Es war eine liebenswürdige Grundhaltung. In den letzten Jahren, vor allem jetzt, wo anscheinend mehr Professionalität gefragt ist, ist das immer mehr flötengegangen.

Es sind jetzt dort Menschen beschäftigt, die keinem Punker- oder sonstigem Milieu zugeordnet werden können. Sie werden leicht austauschbar mit irgendeiner anderen Verwaltung. Es gibt die ganze Palette zwischen introvertierten und extrovertieren Menschen. Da sind Leute, die einfach unter Streß stehen, und nicht jeder verträgt den Streß im gleichen Sinne. Die Leute sind hektisch, vielleicht auch unkommunikativ. Mehr weiß ich nicht, weil kaum einer mir das privat verrät. Da ist die Distanz doch zu groß. Aufgeschrieben und fotografiert von Barbara Bollwahn

Wird fortgesetzt