Alte, neue Verbindungen

■ In Johannisthal vereinigen sich die Raketenbauer aus Ost und West. Der abgestürzte Astronaut Furrer wurde dort abgewiesen

„Die deutsche Luft- und Raumfahrt-Industrie erlebt zur Zeit einen Sturzflug“, klagte bereits 1994 der Vorsitzende des Branchenverbandes BDLI, Wolfgang Piller. In diesem Jahr kam es noch dicker: Milliardenaufträge lösten sich in Nichts auf, die Dasa machte 1,5 Milliarden Minus, die Zahl der Beschäftigten schrumpft. Und jetzt zerschellte auch noch der Westberliner Luft- und Raumfahrt-Hoffnungsträger Reinhard Furrer im Sturzflug mit einer der Dasa gehörenden „Me 108“ aus dem Zweiten Weltkrieg – ausgerechnet auf dem Flugfeld der ehemaligen „Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e.V.“ (DVL) in Johannisthal.

Die Nationalsozialisten hatten das 4,2 Quadratkilometer große Gelände ab 1933 beiderseits der Rudower Chaussee zu einer gigantischen Waffen-Forschungs- und Erprobungsanstalt ausgebaut. Davon zeugen noch heute Windkanäle und Triebwerksprüfstände. Nachdem speziell für die „Vergeltungswaffen 1 und 2“ – nebenbei bemerkt die ersten, bei deren Herstellung weit mehr Menschen umgebracht wurden als durch ihren Einsatz – ein neuer Erprobungsstandort in Peenemünde aufgebaut worden war, testete man auch Raketen im Johannisthaler Windkanal.

Ein Teil der Anlagen wurde 1945 von der Roten Armee demontiert. Noch heute kann man am Windkanal das russische Graffiti entziffern: „Geprüft – keine Minen!“ Zu DDR-Zeiten wurde das Riesenareal vom MfS-Wachregiment sowie von der Akademie der Wissenschaften und dem DFF- Fernsehfunk genutzt.

Seit der Wende plant dort die BAAG („Berlin-Adlershof-Aufbau-Gesellschaft“) eine ganze „Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft“. Entwicklungsträger ist die Wista GmbH, ferner das MEC (Mediencenter) und die Humboldt-Universität. Neben vielen kleineren Firmen und Instituten haben sich dort bereits die 1994 von der Dasa gegründete „Casa Informationstechnik GmbH“ für Raumfahrttechnologie und die 1969 vom Forschungs- und vom Verteidigungsministerium rekonstituierte „Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrttechnik e.V.“ (DLR) – mit zwei Instituten – angesiedelt. Letztere wurden aus dem DDR-Institut für Kosmosforschung ausgesiebt. Sie sind durch einen großzügig vom Senat dotierten Kooperationsvertrag mit der TU verbunden. Dort ist man „sehr stolz“ darauf, daß die Technische Universität (TU) in Adlershof mit dabei ist – „und nicht Herr Furrer von der Freien Universität“.

1983 war der ehemalige „Challenger“-Astronaut mit einer Bewerbung als Akademischer Rat bei der TU abgelehnt worden, der CDU-Wissenschaftssenator hatte Furrer daraufhin eine hochdotierte Professur für Weltraumtechnologie an der Freien Universität verschafft, die noch mit einem Kooperationsvertrag für sein zuvor von der Deutschen Bank und der Dasa gegründetes „Weltraum-Institut Berlin GmbH“ (WIB) verbunden wurde.

Die enge Kooperation zwischen der DVL-Johannisthal, der TH Charlottenburg und der Flugzeugindustrie ab 1933 geht auf die nationalsozialistische Rüstungspolitik zurück. In den sechziger Jahren wurde der frühere DVL- Konstrukteur Heinrich Hertel Ordinarius für Luftfahrzeugbau an der Technischen Universität. Der Raumfahrtingenieur Hermann Koelle übernahm an der Technischen Universität den Lehrstuhl des Triebwerkkonstrukteurs Eugen Sänger, der seit 1936 für die DVL gearbeitet hatte. Hermann Koelle hatte einst in Peenemünde gelernt, von wo aus er mit den SS- Offizieren Walter Dornberger, Wernher von Braun, Arthur Rudolph und Kurt Debus nach Amerika auswanderte. Dort war er zuletzt Direktor für Zukunftsprojekte bei der Nasa.

Die dynamischen jungen Mitarbeiter der Raketenbauer, die sich in Amerika um Wernher von Braun geschart hatten und in der UdSSR um Helmut Gröttrup, fanden somit über die neue DLR und die TU bzw. über das Akademie- Institut für Kosmosforschung wieder Raumfahrtforschungsaufgaben im geteilten Deutschland, wobei sie jedoch fortan quasi gegeneinander arbeiteten. Ihre Schüler wurden jetzt nach der Wende in Johannisthal wiedervereinigt: „Unterbewußt werden mit dem Kooperationsvertrag die alten Connections wiederhergestellt“, so sagte es ein junger TU-Wissenschaftler.

Reinhard Furrer, zuletzt mit der Auswertung von Satellitenphotos beschäftigt – wobei seine Leute seit 1990 aus finanziellen Gründen neben Nasa- und Esa-Aufnahmen über das Institut für Kosmosforschung auch sowjetisches Bildmaterial verwendeten – wurde ab 1991 mit einer Cessna 207 auch selbst wieder luftaufklärerisch tätig: Am Himmel über Berlin versuchte er mittels einer Spezialkamera verborgene ökologische Altlasten aufzuspüren.

Ansonsten war der eher zum Film-Haudegen als zum Forschungsmanager geeignete ehemalige Student einer schlagenden Verbindung und bewaffnete „Fluchthelfer“ in den letzten Jahren, wiewohl von CDU und Springerpresse exzellent gefördert, zunehmend unseriöser geworden. Er wirkte auch verbittert – seitdem die großen Spacelab-Programme in Bonn gestrichen wurden und die 1991 gegründete Dasa-Tochter „Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten“ (Dara) mit ihrem Space-Park-Konzept in Peenemünde an internationalen Protesten gescheitert war.

Andererseits klagten Physik- Doktoranden über die schamlose Ausbeutung bei Furrer. Der Bundesrechnungshof rügte zudem dessen Positivgutachten für dubiose bayerische Kleinflugzeugbauer, die zudem noch Gesellschafter seiner WIB waren. Negativ schlug auch eine fahrlässige Bruchlandung als Fluglehrer zu Buche, womit Furrer „sich noch ein Zubrot verdiente“, wie die FAZ im Nachruf schreibt.

Furrers abruptes Ende hatte mehr Stil: Mit einem eleganten Looping verabschiedete er sich am 9. September von der gesamtdeutschen Flug- und Raumfahrtforschung in Johannisthal, die ihn bei ihrer Rekonstruktion abgewiesen hatte. Das neue Adlershofer „Eingangsportal“ wurde übrigens von Albert Speer Junior entworfen, dem Sohn des einst für den deutschen Raketenbau verantwortlichen Rüstungs- und Reichsbauministers. Helmut Höge