Der Redliche ist der Dumme

In Griechenland ist Steuerhinterziehung geradezu Volkssport: Wer seine Steuern regelmäßig zahlt, wird nicht selten als Schwächling hingestellt  ■ Aus Athen Takis Galis

Sechzehnmal hintereinander mußte der 16jährige Leonidas Polemis pusten, um auf ebensovielen Geburtstagstorten die obligatorischen Kerzen zu löschen. Eine heikle Aufgabe, die er ohne fremde Hilfe kaum bewältigt hätte. Diese bekam er dann aber von jenen 16 gleichaltrigen Jungen und Mädchen, die mit je einem Geburtstagskuchen aus den verschiedensten Ecken Amerikas und Europas auf die griechische Kykladeninsel Andros geflogen waren, um ihn in dieser heißen Septembernacht nicht allein feiern zu lassen. Neben Leonidas wurde auch seine zwei Jahre ältere Schwester Alina gefeiert, die sich kurz zuvor nach bestandener Matura in der Elite-Uni von Kent eingeschrieben hatte. Vater Adamantios Polemis, ein bekannter griechischer Reeder, ließ sich nicht lumpen, gleich nach dem mitternächtlichen Feuerwerk wurde Hummer mit Spaghetti serviert, die Austern in Champagnersauce folgten in den frühen Morgenstunden.

Daß aber tags darauf die Berichterstattung in den Boulevardblättern beim Publikum nur wenig Beachtung fand, ist auf das private Fernsehen zurückzuführen. Das hatte die Auseinandersetzung zwischen dem Schlagersänger Tolis Voskopoulos und seiner Exfrau Tzoulia Papadimitriu in den Vordergrund geschoben – ein Thema, das nicht nur die Nachrichtensendungen beherrschte. TV-Sender wie Star (Zuschaueranteil 18 Prozent) und Skay (zehn Prozent) unterbrachen an jenem Abend ständig ihr reguläres Programm, um die zwei Streithähne vors Mikrophon zu zerren.

Dabei bestand der populäre Barde auf die Rückgabe von umgerechnet 13 Millionen Mark, welche Tzoulia ihm angeblich entwendet hatte. Der Dialog wurde live gesendet, wobei der Moderator die Auseinandersetzung der zwei Protagonisten, die zugeschaltet waren, koordinierte. Nicht nur Anwälte und Psychologen, auch die Zuschauer durften ihren Senf dazugeben. Es war, wie ein Medienexperte bemerkte, weltweit die erste interaktive Seifenoper, live und überaus wirklichkeitsnah. Diese eingeschobenen Übertragungen erreichten Spitzeneinschaltquoten von 40 und 50 Prozent der Gesamtzuschauerschaft.

Daß aber die Affäre die Öffentlichkeit so stark erregte, hat offenbar mit der Stellvertreterrolle von Voskopoulos zu tun. Der Interpret von Schnulzen wie „Nur wenn du dich entschuldigst, können wir weiterreden“, ist ein typischer Neureicher und gleichzeitig ein bekannter Steuerhinterzieher. Von denen gibt es in Griechenland nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 600.000. Die meisten von ihnen sind kleine und mittlere Unternehmer sowie Freischaffende, die lediglich einen unerheblichen Teil ihrer Einkommen versteuern. Von den 13 Millionen Mark, die Voskopoulos nach eigenen Angaben während seiner vierjährigen Ehe mit Tzoulia verdiente, erfuhr die Steuerbehörde erst Mitte September, als ein Athener Gericht dieses Geld Tzoulia zusprach – was ihr übrigens eine verspätete Anzeige wegen Steuerhinterziehung einbrachte.

Auch in Griechenland gehört Steuerhinterziehung zu den beliebten Volkssportarten. Unter der Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou konnten europaweit einsame Rekorde erzielt werden. Laut amtlichen Angaben haben die griechischen Selbständigen 1994 im Schnitt ein jährliches Einkommen von umgerechnet ca. 10.000 Mark gemeldet – was in heftigem Gegensatz zu den Luxusautos, -yachten und -appartements der angeblich Unbemittelten steht. Die unzähligen Schlupflöcher im Steuersystem (jedes Jahr werden Dutzende oft einander widersprechende Steuervorschriften erlassen) und die wahltaktisch begründete Unwilligkeit der Politiker, den Gesetzesbrechern das Handwerk zu legen, sind dabei die freundlichste Einladung zur massiven Steuerhinterziehung. Der Redliche ist dabei nicht nur der Dumme, sondern gilt auch als Schwächling: Wer seine Steuern regelmäßig bezahlt, wird als „Malakas“, Wichser, bezeichnet und im wörtlichen Sinne als sozio-sexueller Weichling hingestellt.

Eine derartige Herabsetzung läßt sich der griechische Neureiche niemals gefallen. Andererseits ist er aber der Gefahr ausgesetzt, als Betrüger erwischt zu werden. Eben dieses ewige Versteckspiel mit den Steuerfahndern macht seine Position zu einem Nervenkitzel fürs Publikum.

Mögen die Reedersprößlinge mit unzähligen Torten daherprotzen – die attraktivste Tortenschlacht findet bei jenen statt, die, ohne superreich zu sein, ihre Habe trickreich zu verteidigen wissen. Tolis Voskopoulos steht für diese neuartige sozial-anarchische Funktion des Eigentums. Er ist der Doppelheld der neureichen Welt, da er nicht nur Steuern hinterzogen hat, sondern seine Schulden auch noch von seiner Exgattin begleichen läßt.