■ Debatte über „ethnische Trennung“: Eberhard Rondholz antwortet seinen Kritikern Götz Aly und Freimut Duve: Geschehen, was nicht geschehen darf
In der taz vom 2. September 1995 hat mich Götz Aly des Aufrufs zu einer strafbaren Handlung nach § 336 StGB bezichtigt, begangen unter anderem mit Hilfe der taz vom 30. August durch ein Plädoyer für eine „ethnische Trennung“ in Bosnien. Das Delikt heißt: Rechtsbeugung. Bis heute hat sich die Staatsanwaltschaft weder bei mir noch bei der taz in dieser Sache sehen lassen, wahrscheinlich sucht sie immer noch die inkriminierte Drucksache nach einer entsprechenden „Stelle“ ab und findet sie nicht. Ich kann ihr dabei nicht helfen, das Plädoyer steht da nämlich nicht drin.
In der taz vom 5. September hat Freimut Duve den Friedensforscher Prof. Czempiel und mich bezichtigt, wir hätten für Bosnien eine „organisierte Gruppentrennung“, „also Apartheid“ gefordert. Ich für meinen Teil erkläre: Ich habe weder Herrn Boban aufgefordert, Muslime und Serben aus der Herzegowina zu vertreiben, noch Herrn Mladić, ein gleiches mit Kroaten und Muslimen in Bosnien zu tun. Ich habe auch die Lausanner Friedenskonferenz 1923 nicht aufgefordert, Griechen und Türken auseinanderzusiedeln. Soviel zur komischen Seite der Angelegenheit. Nun zur ernsten.
Am 7. August 1995 hat die unabhängige israelische Tageszeitung Yedioth Aharonoth vorgeschlagen, den blutigen Konflikt auf dem Balkan durch Bevölkerungsaustausch beenden zu helfen. Denn, so hieß es da, „die andere Möglichkeit ist ein ewiger Krieg, ein Teufelskreis des Blutvergießens, der sich in jeder Generation wiederholt. Ein Meer der Rache und des Grauens, so wie im ehemaligen Jugoslawien.“ Ich habe diesen Kommentar zum Anlaß genommen für einige eigene Überlegungen und unter anderem darauf hingewiesen, was diese israelische Stimme zum Balkankrieg mit israelischer Geschichte zu tun hat. Ich bin im folgenden der Frage nachgegangen, inwieweit historische Erfahrungen aus den zahlreichen ethnischen Auseinandersetzungen, die der Auflösung des osmanischen Vielvölkerstaats folgten, von Mazedonien bis Kleinasien, von Palästina bis Zypern, Lehren geben könnten für eine Lösung des vorläufig letzten dieser Konflikte. Am Ende dieser Überlegungen stand ein deutliches Fragezeichen sowie ein Nachdenken über Voraussetzungen, unter denen so etwas funktionieren könnte. Skepsis war und ist angesagt.
Der auszugsweise Abdruck meines Textes in der taz hat eine Reihe von wütenden Reaktionen ausgelöst, die eine Menge Empörung und allerlei unqualifizierte Verbalinjurien und Unterstellungen enthielten, dafür ziemlich wenig politische und historische Substanz, was mich bei berufsbedingt zum Populismus, rhetorischen Tricks und falschen Analogien neigenden Parlamentariern weniger störte als bei dem Historiker Aly. Wenn Duve, weil er in seiner Jugend mal ein beachtliches Buch über die Rassentrennungsmisere am Kap geschrieben hat, alle Formen der ethnischen Separation jetzt Apartheid nennt, na schön.
Und wenn Marieluise Beck von den Grünen in ihrem Leserbrief in der taz den Autor des Primärkommentars zur „ethnischen Trennung“ nicht anzusprechen wagt, weil er Israeli ist, und den von mir beschriebenen historischen Hintergrund seiner Argumentation auch nicht, so ist das nach dem Debakel um den legendären Nahost- Besuch der „grünen Wichtel“ vom Dezember 1984 (Henryk M. Broder, taz 2.1.1985) immerhin noch verständlich – auf dieses verminte Gelände wagen sich Grüne nicht mehr ohne weiteres. Auch wäre Becks Rede vom „nationalsozialistischen Bazillus“, gerichtet an die Adresse von Yedioth Aharonoth, zumindest ein Verstoß gegen die „Political correctness“ gewesen. Aber daß auch Aly diese Klippe still umschifft, daß er statt der im Zusammenhang mit dem Nachlaß des Osmanischen Reiches von mir angesprochenen Palästinafrage auf die „verwerfliche“ Vertreibung der Deutschen zu sprechen kommt, das ist schon ein ziemlich starkes Stück. Begreiflich aber vor diesem deutschnationalen Hintergrund, daß er die von Deutschen initiierte, erste große „ethnische Säuberung“ in Kroatien und Bosnien, die die gegenwärtigen Massaker erst erklären kann, überhaupt nicht anspricht – eine beachtliche Verdrängungsleistung.
Daß Aly zu unqualifizierten Injurien Zuflucht nimmt statt zum seriösen Argument, mir die Gleichsetzung „Izetbegović gleich Karadžić“ unterschiebt, wo ich von dem skrupellosen Duo Tudjman-Milošević rede, das ist seine Sache. Aber wenn Aly die Geschichte auf den Kopf stellt, damit sie in die Welt der eigenen Wunschvorstellungen paßt und in seine Polemik, dann verlangt das schon eine Richtigstellung.
Aly suggeriert, „die vielen hunderttausend Toten“ in Kleinasien hätten etwas mit dem Vertrag von Lausanne von 1923 und der Politik des Völkerbundes zu tun. In Wirklichkeit waren diese Toten Opfer eines Krieges, den Griechenland (unter lautem Beifall und stiller Mithilfe der Alliierten) begonnen und verloren hat. Ziel dieses Krieges war der „Anschluß“ der mehrheitlich von Griechen bewohnten kleinasiatischen Küste, das Ergebnis einer katastrophalen Niederlage, der Tod eines großen Teils dieser Griechen sowie der Exodus fast der gesamten verbleibenden griechischen Bevölkerung Kleinasiens. Die Schlichter von Lausanne und der Völkerbund kamen erst nach dem Desaster ins Spiel, ihre Politik des Bevölkerungsaustauschs hatte die zukünftige Stabilität der Region im Auge.
Was die Vorgänge auf dem Balkan heute angeht, so habe ich eine ethnische Trennung nicht vorgeschlagen, sondern ich habe sie konstatiert. Aber manche Leute lesen eben nicht, was geschrieben steht, sondern was sie gerne lesen wollen. Und Wunschdenken kann blind machen, besonders die Träumer des multikulturellen Paradieses, die wenigstens in Ex-Jugoslawien funktionieren sehen wollen, was in ihrer Heimat bis heute nicht geht: ein friedliches Zusammenleben aller Bürger unterschiedlicher Volkszugehörigkeit und Religionen in einem säkularen Staat. Doch die Mehrheit der Bürger Ex- Jugoslawiens hat gegen diese Option (und für Nationalstaaten mit je einem Staatsvolk) votiert, für das, was Aly „völkische Logik“ nennt. Und die deutsche Außenpolitik hat diese Entwicklung durch ihre Anerkennungspolitik sehr früh nach Kräften unterstützt.
Was die Völker des zerfallenen jugoslawischen Staatswesens gegenwärtig miteinander anstellen, verstößt gegen das Völkerrecht, sagt Aly, und hier ist ihm allemal zuzustimmen. Aber es ist geschehen, was nicht sein darf – mit den Worten der Neuen Zürcher Zeitung (2./3.9.95): „Die große ethnische Trennung hat bereits stattgefunden.“ Und es ist wenig hilfreich, die Augen vor dieser bitteren Realität zu verschließen. In diesen Tagen wurden wir Zeugen einer neuen Runde „ethnischer Säuberungen“, diesmal mit Luftunterstützung der Nato (und bezeichnenderweise ohne öffentliche Reaktion der Aly, Beck, Duve & Co.). Vielleicht schickt Götz Aly sein völkerrechtliches Kolleg vom 2.9.1995 an diese Adresse. Und Herr Duve seine fälligen Protesterklärungen auch. Eberhard Rondholz
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