Gespräche hängen an seidenem Faden

Hauptstreitpunkt der Kriegsparteien ist die künftige Verfassung von Bosnien-Herzegowina. Die bosnische Regierung will eine Abspaltung der bosnischen Serben ausschließen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Nach den Bemühungen der US- und UNO-Vermittler in Sarajevo hat sich die bosnische Regierung gestern offenbar doch noch entschlossen, an dem Außenministertreffen in New York teilzunehmen. Dies sagte Ministerpräsident Haris Silaijdzić zumindest gestern nachmittag in Sarajevo. Nach Angaben von US- Außenamtssprecher Nicholas Burns wollte US-Außenminister Warren Christopher noch gestern mit den Außenministern Serbiens, Kroatiens und Bosniens zusammentreffen.

Knapp drei Wochen nach dem vor allem von Washington als „Druchbruch“ gefeierten Genfer Treffen der Außenminister Bosniens, Serbiens und Kroatiens waren die mühsam verkleisterten Gegensätze jedoch noch nicht überbrückt. Im Zentrum des Konfliktes steht die künftige Verfassung Bosniens.

Die bosnische Regierung hatte am Wochenende den Boykott des Außenministertreffens angekündigt, weil die Serben inzwischen wieder hinter einen zentralen Punkt der Genfer Vereinbarung über „Prinzipien“ für eine Friedenslösung zurückgegangen sind. Danach soll Bosnien als Einheitsstaat in seinen international anerkannten Grenzen vom April 92 erhalten bleiben, jedoch in zwei weitgehend autonome „Einheiten“ (die muslimisch-kroatische Föderation und eine „Serbische Republik“) aufgegliedert werden. „Sonderbeziehungen“ der beiden Teile zu Kroatien und Serbien sollen nur soweit möglich sein, wie sie die Integrität und Souveränität Bosniens nicht in Frage stellen. Im Widerspruch zu dieser Prinzipien-Vereinbarung steht die neue Forderung der Serben, in die künftige Verfassung das Recht auf Sezession ihrer Republik nach einer gewissen Frist aufzunehmen. Dies würde den späteren Anschluß an Serbien ermöglichen.

Bosniens Premierminiser Haris Silajdzić verlangte hingegen die Aufnahme eines Verfassungsartikels, in dem die „Unteilbarkeit“ Bosnien auf Dauer festgeschrieben wird. Zudem kritisierte Silajdzić, der Verfassungsentwurf, den US-Unterhändler Richard Holbrooke nach Konsultationen in Sarajevo und Belgrad vorgelegt hatte, sehe eine „zu schwache Zentralregierung“ für Bosnien vor.

Der bosnische Premierminister bekräftigte zudem die Forderung nach Schaffung eines ständigen Versorgungskorridors in der ostbosnischen Muslimenklave Goražde, nach Entmilitarisierung der noch von serbischen Truppen gehaltenen nordbosnischen Stadt Banja Luka sowie nach einer völlständigen Aufhebung der Belagerung von Sarajevo. Auch fünf Tage, nachdem die Karadžić-Serben ihre schweren Waffen weitgehend aus der 20-Kilometer-Zone um Sarajevo abgezogen haben, ist die Strom-, Gas-und Wasserversorgung der Stadt noch nicht wiederhergestellt.

Der Ausgang der Verhandlungen in New York könnte Einfluß auf die Optionen der Kriegsparteien in Bosnien haben. Nach Vermutungen der Vereinten Nationen haben die bosnischen Serben ihre von Sarajevo abgezogenen schweren Waffen inzwischen zur Verstärkung ihrer Verteidigung nach Nordbosnien gebracht. UNO- Sprecher Chris Vernon erklärte gestern in Sarajevo, serbische Truppenbewegungen in dem Versorgungskorridor für Banja Luka hätten deshalb am Sonntag massive Artillerieangriffe der Kroaten von Norden und der Muslime von Süden ausgelöst. Eine Unterbrechung des Korridors könnte den geplanten Staat der bosnischen Serben teilen. Die Gefechte in Nord- und Zentralbosnien gingen gestern weiter, allerdings mit verminderter Intensität.

UNO-Experten haben ein angebliches Massengrab bei Kljuć in Nordwestbosien aufgesucht, wo bosnische Regierungstruppen eine stark verweste Leiche gefunden haben. Das Grab messe fünf mal fünf Meter, sagte ein UNO-Sprecher. Über die Zahl der Toten könne noch nichts gesagt werden. In ersten Berichten hatte es geheißen, in drei Massengräbern bei Klujć befänden sich die Leichen von über 500 Moslems und Kroaten, die von Serben 1992 ermordet worden sein sollen.