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Glimmstengel zu Blumenerde

Der Zoll läßt jährlich 100 Millionen Zigaretten durch den Reißwolf jagen und das Schmuggelgut kompostieren. Die Tabakindustrie zahlt die Vernichtung, um zweimal zu verdienen  ■ Von Barbara Nolte

Henrik Glödel und seine Kumpel sind ein eingespieltes Team: Schnell werfen sie sich die Umzugskisten, Reisetaschen und Koffer zu. Den Inhalt kippen sie in die Schaufel eines wartenden Baggers, der seine Fracht zu einer zwanzig Meter entfernten Schreddermaschine fährt. Gefräßig zermalmt das metallene Ungetüm die Schachteln, laut krachend spuckt es sie Sekunden später in daumengroßen Fetzen wieder aus. Die schäbigen Kartons, die sich die fünf Männer so routiniert zuwerfen, sind Millionen wert: Sie enthalten geschmuggelte Zigaretten aus den Beständen des Hauptzollamtes. Acht Millionen Stück werden an diesem Morgen bei der Firma „Naturerde und Recycling GmbH“ in Hoppegarten durch den Schredder gejagt. Auf dem Schwarzmarkt würde diese Menge 900.000 Mark kosten. Nach gut einer Stunde Arbeit ist von den 40.000 Stangen West, Marlboro, Camel und Golden American nur noch eine große Halde aus Schnipseln übriggeblieben. Innerhalb eines Jahres werden die Zigarettenfetzen samt Filter und Zellophanhülle zu Humus verrottet sein.

Als „umweltfreundlich und billig“ lobt Zolloberinspektor Gerhard Korneli das Verfahren. „Alle zwei Wochen fahren wir raus zum Schreddern“, sagt er. Korneli ist erleichtert, endlich einen Weg gefunden zu haben, die Beute der Zollfahnder loszuwerden. Als nach dem Mauerfall die Schmuggelschwemme einsetzte, haben die Berliner Zöllner zunächst die sichergestellten Zigaretten für ein, zwei Pfennig das Stück an Exportfirmen verkauft.

Doch zu oft endete die Ausfuhr nach Bulgarien oder Ungarn auf dem ersten Parkplatz hinter der polnischen Grenze. „Die wurden einfach umgeladen und waren schon wieder auf dem Weg zurück“, beschreibt Korneli die Schwarzmarktkanäle. „Es ist sogar schon vorgekommen, daß wir die Originalkartons, in denen wir die Zigaretten verkauft hatten, kurz darauf wieder auf unserem Gelände stehen hatten“, fügt sein Kollege Jürgen Naß hinzu.

Später wurde der Schmuggeltabak für elf Pfennig die Zigarette an Altenheime verscherbelt. „So holten wir wenigstens die Steuern wieder rein“, erklärt Korneli. Da jedoch die sichergestellten Päckchen häufig weder mit Inhaltsstoffen noch mit einem Verfallsdatum ausgezeichnet sind, ist vor zwei Jahren der Weiterverkauf gesetzlich verboten worden.

Seitdem entsorgt das Hauptzollamt die Konterbande durch Kompostierung. Nur den Transport nach Hoppegarten muß das Land bezahlen, die Vernichtungskosten – pro Container sind das 610 Mark – tragen die Zigarettenhersteller. Doch was auf den ersten Blick wie eine großzügige Spende aussieht, ist in Wahrheit eine pfiffige Geschäftsstrategie. Denn jede Zigarette, die in der Häckselmaschine anstatt in der Lunge eines Konsumenten landet, kann die Tabakindustrie noch einmal verkaufen. Zolloberinsepktor Korneli ist das doppelte Spiel der Zigarettenfabrikanten egal. „Hauptsache, wir können unser Lager weiter so billig entrümpeln“, sagt er.

Die Asservatenkammer des Berliner Zolls ins Friedrichshain platzt aus allen Nähten. Auf Metallregalen, die bis unter die Decke reichen, stapeln sich die Zigaretten. Mal sind es einzelne Stangen, mal mehrere Reisetaschen voll, die da nebeneinanderliegen. Die Delikte sind sorgsam voneinander getrennt, jedes mit einer eigenen Nummer versehen.

Als Beweismittel werden die Tabakwaren hier solange aufgehoben, bis das Strafverfahren gegen den Schmuggler abgeschlossen ist. Häufig sind das drei bis vier Jahre. Insgesamt lagern im Zollhof 180 Millionen Zigaretten. Und täglich kommen neue hinzu. Allein im letzten Jahr wurden in Berlin 105 Millionen Stück sichergestellt, dem Land gingen dadurch Steuern in Höhe von 20 Millionen Mark verloren.

Die Millionenwerte, die in Friedrichshain deponiert sind, stellen den Zoll vor ein weiteres Problem: den Einbruchsschutz. Erst vor zwei Monaten wurde ein Zigarettenlager in Cottbus überfallen, und im vergangenen Jahr eines in Potsdam. Nachts wird die Asservatenkammer von bewaffneten Wachmännern gesichert, ihre genaue Adresse wird streng geheimgehalten. Auch beim Transport nach Hoppegarten gilt Sicherheitsstufe eins: An den Lkws weist keine Aufschrift auf ihre wertvolle Fracht hin, ihre Nummernschilder dürfen nicht fotografiert werden. Jürgen Naß steht auf dem Gelände der „Naturerde und Recycling GmbH“ Hoppegarten etwas abseits, hin und wieder stapelt er leere Kartons in den Anhänger der Zöllner. Als Zollhauptsekretär ist Jürgen Naß unter anderem dafür verantwortlich, daß jede Zigarette, die das Lager verläßt, auch vernichtet wird. Er muß aufpassen, daß die Fahrer und Packer keinen Karton beiseite schaffen oder daß der Baggerführer eine Ladung nicht in, sondern hinter die Schreddermaschine fallen läßt.

Naß vertraut seinen Mitarbeitern. „Auf meine Jungs kann ich mich voll und ganz verlassen“, sagt er. „Die setzen doch nicht für 1.000 Zigaretten ihren Job aufs Spiel.“ Obgleich Naß selbst Kettenraucher ist, läßt ihn die Vernichtung der Abermillionen Zigaretten kalt. Nie wieder zum Kiosk rennen, nie wieder einen Fünfer im Automatenschlitz verschwinden sehen – solche Gedanken kommen ihm erst gar nicht in den Sinn. Naß zieht an seiner Zigarette: „Das sehe ich ganz professionell – wie ein Kassierer einer Bank.“

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