Verfassungsfeindschaft zahlt sich doch aus

Nach dem Berufsverbots-Urteil befürchtet Niedersachsen Forderungen in Millionenhöhe  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Mir persönlich ging es immer um eine Rehabilitation“, sagte gestern die 46jährige Studienrätin Dorothea Vogt, nachdem sie vor dem Europäischen Gerichtshof den letzten ihrer vielen Berufsverboteprozesse gewonnen hatte. Die Straßburger Richter, die gestern die Entlassung der Französischlehrerin aus dem Schuldienst als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention werteten, haben aber nicht allein Dorothea Vogt rehabiliert. Tausende Opfer von Berufsverboten, denen der Eintritt in den Schuldienst verwehrt wurde oder die aus politschen Gründen nicht mehr unterrichten durften, können jetzt auf Schadenersatz zumindest hoffen.

Der Europäische Gerichtshof hat gestern im konkreten Einzelfall entschieden, einen Schadenersatzanspruch nicht von vornherein abzulehnen. Über eine Entschädigung wollen die Richter später gesondert entscheiden. Allerdings zeigten sie auch Verständnis für den Radikalenerlaß aus dem Jahre 1972, mit dem der Bund und die Länder das Bekenntnis zur Freiheitlich Demokratischen Grundordnung zur Grundlage der Beschäftigung im öffentlichen Dienst gemacht hatten. Das Urteil wendet sich nicht pauschal gegen die politische Treuepflicht von Beamten, sondern bezeichnet die konkrete Entlassung von Dorthea Vogt als „unverhältnismäßig strenge Reaktion“. Die Richter wiesen darauf hin, daß Dorothea Vogt nur die Tätigkeit für die DKP, also für eine legale, nicht verbotene Partei, vorgeworfen wurde. Die einzige Gefahr, die von einer kommunistischen Lehrerin ausgehen könne, sei die Indoktrination der SchülerInnen. Die aber hatte das Land Niedersachsen der 46jährigen Lehrerin nie vorgeworfen. Im Gegenteil, ihren Unterricht hatte der Dienstherr stets gelobt. Ihr Berufsverbotsverfahren begann im Jahre 1981, weil sie 1980 im Bundestagswahlkampf einen Stand für die DKP angemeldet hatte. Mit ihrer Kandidatur bei verschiedenen Wahlen für diese Partei wurde schließlich ihre Entlassung begründet. Auch die Verfassungsbeschwerde, die sie einlegte, bevor sie schließlich das Straßburger Gericht anrief, wurde gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.

Allein das Land Niedersachsen hat 1991 gut hundert Berufsverbotsopfern die Einstellung oder die Wiedereinstellung in den Schuldienst angeboten. In der niedersächsischen Staatskanzlei hatte man schon seit eineinhalb Jahren mit dem Erfolg von Dorothea Vogt in Straßburg gerechnte, und ihr deshalb bereits einen Vergleich und eine Entschädigung angeboten. Nun befürchtet man, daß unter Berufung auf das Straßburger Urteil auch andere Berufsverbotsopfer klagen werden. Die Fälle sind allerdings unterschiedlich gelagert: Sechs weitere Lehrer wurden in Niedersachsen, wie Dorothea Vogt, aus politischen Gründen aus ihrem Beamtenverhältnis entlassen; dreizehn andere entlassenen Lehrer waren zuvor Beamte auf Probe. Den meisten Berufsverbotsopfern, in Niedersachsen knapp neunzig, wurde von vornherein die Einstellung in den Schuldienst verweigert: Sie scheiterten schon an der Überprüfung durch den Verfassungsschutz und der darauffolgenden Anhörung.

Im niedersächsischen Kultusministerium rechnet man mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe: Schließlich können allein die zwanzig entlassenen Lehrer neben Pensionsansprüchen für jedes Jahr, das sie nicht im Schuldienst arbeiten durften, etwa 70.000 Mark an Verdienstausfall geltend machen.