: Spagat zwischen Theorie und Politik
■ Über ihre 23 Bezirksstadträte ist die PDS fest in die Verwaltung der Ostberliner Bezirke eingebunden: Kaum Platz für grundlegende Veränderungen, doch ab und zu kleine Siege über die Mangelverwaltung
Es sind die kleinen Erfolge, die Eva Mendel die Freude an der Arbeit erhalten. Ihrem energischen Drängen sei es zu verdanken, daß Mitte seit kurzem der erste Bezirk ist, der einem Kinder- und Jugendbüro eine Planstelle eingeräumt hat. Während in anderen Bezirken solche Projekte Jahr für Jahr um ihre Finanzierung kämpfen müssen, ist in Mitte die Finanzierung jetzt bis auf weiteres gesichert. Gern würde Eva Mendel auch den 13 auf der Kippe stehenden Jugendprojekten des Bezirkes eine Finanzierungszusage geben, aber statt der benötigten 1,4 Millionen Mark stehen dem Bezirk dafür nur 700.000 Mark zur Verfügung. Da gilt es auszuwählen, Prioritäten zu setzen, aus den Sparzwängen das Beste machen.
Doch zu über 80 Prozent reduziert sich auch die Arbeit von Eva Mendel, PDS-Stadträtin für Jugend, Familie und Kultur im Bezirk Mitte, auf vorgeschriebene Verwaltungsaufgaben. Der Senat beschließt, und die Bezirksämter müssen es umsetzen. Was nützt es Eva Mendel, wenn sie gemeinsam mit den Eltern gegen die Einführung von Kita-Gebühren protestiert? Letztlich ist sie es, die von den Eltern das Geld eintreiben muß. „Aber“, und wieder hat Mendel eine dieser kleinen Freuden parat, „wir PDS-Stadträtinnen haben in Mitte bessere Härtefallregelungen durchgesetzt als in anderen Bezirken.“
Eva Mendel ist eine von 23 Stadträten der PDS. Während die Partei von ihren Wahlplakaten vollmundig verspricht, „alle wollen regieren, wir wollen verändern“, ist die PDS in Ostberlins Bezirken längst fest in die Verwaltung der Bezirke eingebunden. Weder mit einer „grundsätzlichen Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen“, wie das Programm einklagt, noch mit „konkreten Schritten“ in diese Richtung können die Bezirkspolitiker der PDS dienen. Die Spielräume für Veränderungen sind in den Bezirken klein. Das Spannungsverhältnis zwischen dem, was die PDS fordert und dem, was die Stadträte kommunalpolitisch real durchsetzen können und müssen, ist groß. Helios Mendiburu, SPD-Bürgermeister von Friedrichshain reibt sich bei dem Gedanken daran schelmisch die Hände: „Die PDS-Bezirksstadträte müssen ganz schön Spagat machen zwischen ihren ideologischen Ansprüchen und den politischen Notwendigkeiten.“ Häufiger als bei den anderen Parteien geraten Basis und Stadträte dabei in Konflikt.
Die Staus und Lärmbelästigung für die Anwohner auf der Umleitung für die Baustelle Landsberger Allee hat etwa die PDS Friedrichshain zum Wahlkampfthema gemacht. Dabei hat ein Mitarbeiter des Tiefbauamtes nach Prüfung aller Varianten der Verkehrsführung durch das Wohngebiet zugestimmt. Politisch verantwortlich für die Entscheidungen des Tiefbauamtes ist die von der PDS nominierte parteilose Baustadträtin Martina Albinus. Den Abenteuerspielplatz in der Kreuziger Straße will die PDS erhalten, aber das Bezirksamt hat schon vor langem beschlossen, hier Wohnungen zu errichten. Die PDS-Baustadträtin ist jetzt dafür verantwortlich, den Bezirksamtsbeschluß umzusetzen und die Baugenehmigung zu erteilen.
Auch wenn die PDS für Helios Mendiburu nach dem Motto „Freibier für alle“ populistisch auf Stimmenjagd geht, lobt er doch die „sachliche und faire Zusammenarbeit“ mit den beiden PDS-Stadträten. Von dem großen Mißtrauen und der Ablehnung, die den Bezirksstadträten nach dem großen Wahlerfolg 1992 entgegengebracht wurde, ist kaum etwas geblieben. Die Stadträte der verschiedenen Parteien haben sich arrangiert, stellenweise versteht man sich sogar ausgezeichnet. Längst wird in fast allen Bezirksämtern Ostberlins nicht mehr gegen die PDS-Stadträte Front gemacht, sondern mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt. In Mitte ist das Bündnis zwischen SPD und PDS so fest geschmiedet, daß man gemeinsam die bündnisgrüne Baustadträtin Dorothee Dubrau entmachtete. Von den unkonventionellen Sparbemühungen des Köpenicker PDS-Sportstadtrats Dirk Retzlaff im Köpenicker Schwimmbad war selbst Sportsenator Kleemann so beeindruckt, daß er überlegt, dieses aus den Privatisierungsplänen des Senats zu entlassen.
Das Prinzip, das die siebenköpfigen Bezirksämter nach dem Kollegialprinzip nach außen nur geschlossen auftreten, wird weitgehend auch von den PDS-Stadträten eingehalten. Grobe Dienstpflichtverletzungen konnten den PDS-Stadträten nicht nachgewiesen werden. Wie bei den anderen Parteien gibt es auch bei der PDS gute und weniger gute, engagierte und faule, kompetente und weniger kompetente Stadträte. Zwei Stadträtinnen der PDS mußten allerdings wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem MfS den Hut nehmen, und in Weißensee wurde der sichtlich überforderte Stadtrat für Umwelt und Gesundheit, Olaf Albrecht, bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Amt gejagt. In einem Zeitungsartikel hatte Albrecht seine Aufgabe als Stadtrat unter anderem darin gesehen, immer wieder die Grenzen der kapitalistischen Verhältnisse aufzuzeigen.
Doch viele andere Stadträte der PDS haben sich bestens mit den kapitalistischen Verhältnissen arrangiert. So hat etwa die Baustadträtin von Friedrichshain, Martina Albinus, längst den Ruf erworben, sie habe immer ein offenes Ohr für kapitalträchtige Investoren. Auch wenn das Überangebot an Büroflächen gerade in Friedrichshain bereits groß ist und die Abgeordnetenhausfraktion der PDS bereits die innerstädtischen Bürowüsten anprangert, hat man im Bezirk weiteren Projekten zugestimmt. Mit viel Phantasie und allerlei Tricks ist es ihr allerdings gleichzeitig gelungen, etwa die Explosion der Gewerbemieten zumindest teilweise zu begrenzen und günstige Ansiedlungsbedingungen für alteingesessene Gewerbebetriebe zu schaffen. In Pankow hat Claudia Nier, parteilose PDS-Baustadträtin auf PDS-Ticket, den Abrißwahn ihres SPD-Vorgängers mit viel persönlicher Energie gestoppt und Hand in Hand mit Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) die behutsame Stadterneuerung in Pankow etabliert.
Während im Bauressort auch für PDS-Bezirkspolitiker Spielräume vorhanden sind, die gestaltet werden können, müssen viele andere Bezirksstadträte vor allem den Notstand verwalten und vom Senat oder dem Abgeordnetenhaus erzwungene Sparauflagen durchsetzen. Was nützten ihr die besten Ideen und alle guten Kontakte zu den Betroffenen, seufzt Bärbel Grygier, Gesundheitsstadträtin von Hohenschönhausen, wenn der Senat die Abwicklung der Polikliniken beschlossen hat, obwohl der Bezirk mit Ärzten noch unterversorgt ist? Längst hat sich auch herumgesprochen, daß die Ärztehäuser, in denen verschiedene Ärzte zusammenarbeiten, so schlecht nicht sind. Bärbel Grygier mußte die Polikliniken weitgehend schließen und das öffentliche Gesundheitssystem abbauen.
Um unkonventionelle Lösungen ist auch die PDS-Jugendstadträtin in Hohenschönhausen nicht verlegen. Der Kaufhauskonzern Kaufhof eröffnet in diesen Tagen am Prerower Platz in Hohenschönhausen sein neues Haus. In das neue Einkaufszentrum wird auch die Bezirks-Jugendbibliothek „Anna Seghers“ einziehen. Der Bezirk mietet sich kostengünstig in dem Konsumtempel ein. „Probleme“, sagt Bärbel Grygier, die nach dem 22. Oktober in Hohenschönhausen erste PDS- Bürgermeisterin in einem Berliner Bezirk werden will, „sind dazu da, daß man sie löst.“ Doch in fünf Jahren, so klagt die Stadträtin, sei es der Berliner PDS nicht gelungen, etwa über ein kommunalpolitisches Forum, die Arbeit ihrer Bezirksstadträte und Kommunalpolitiker schlagkräftig zu koordinieren.
Nicht den schlechten Stadträten der PDS macht die Konkurrenz das Leben schwer, sondern den profilierten. Claudia Nier mußte erst einige aufdringliche Aufforderungen zum Parteiübertritt über sich ergehen lassen, bevor die Pankower SPD die mangelnde Demokratiefähigkeit und schlechte Amtsführung der Baustadträtin entdeckte und einen Abwahlantrag stellte. Doch auch mit der PDS-Basis hat Claudia Nier ihre Schwierigkeiten, mit den Autofans in der PDS zum Beispiel, den Chauvinisten oder den über Jahrzehnten eingeübten Partei-Ritualen.
Eine besondere Form der Arbeitsteilung hat Robert Scholz, der Wirtschafts- und Finanzstadtrat des Bezirks Prenzlauer Berg, mit seiner PDS-Fraktion gefunden. Jeder Haushalt, den Scholz vorgelegt hatte, wurde von der BVV-Fraktion seiner Partei abgelehnt. Für Scholz das Normalste von der Welt. Schließlich brauche sich die Partei doch nicht denselben Haushaltszwängen unterzuordnen wie der Stadtrat. Seine Visionen will Robert Scholz nicht aufgeben, „auch wenn mir klar ist, daß ich nur pragmatische Politik mache“. Natürlich stehe für die PDS im Prenzlauer Berg der Erhalt von öffentlichen Einrichtungen im Vordergrund, doch wenn das nicht vermeidbar sei, will sich die PDS zumindest dadurch profilieren, daß bei Entlassungen sozialverträgliche Lösungen gesucht werden.
Auch Eva Mendel kann nicht verhindern, daß kommunale Kitas an freie Träger übergeben werden, doch während ihre Kollegen es sich einfach machten und große Verbände aus dem Westen (wie das DRK oder die AWO) einsetzen, will sich Eva Mendel dadurch profilieren, daß auch kleine freie Träger aus dem Osten zum Zuge kommen. Eva Mendel glaubt, sich durch ihr Engagement für die Kitas im Bezirk Mitte bei den Eltern einen guten Namen gemacht zu haben. Natürlich ist an den Kita-Gebühren der Senat schuld, während die Tatsache, daß in Mitte keine Kita geschlossen wurde, ein Erfolg der Bezirksstadträtin ist. Das ist eben Wahlkampf. Dabei ist die PDS-Stadträtin in Wahrheit weder für das eine noch das andere verantwortlich. Christoph Seils
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