Betr.: Doris im Fernsehen

„Hör mal, Schätzchen“, sagte die Stimme am Telefon, „wir machen da son Ding über Asyl und so, da hast du doch ne Meinung zu, also paß auf ...“ „Hansi?“ sagte ich. Ich kannte mal einen Hansi. „Keine Zeit“, sagte er, „ich jobb hier am Sender, mit Wi-Wi ist nix mehr, also paß auf: Du sitzt zwischen Richter und Vollmer, und direkt gegenüber plazieren wir diesen Knallkopp aus Bayern, und wenn ihr voll am Quatschen seid, lassen wir als Überraschungsgast den Dyba rein, diesen Kirchenfritzen, vielleicht seilen wir den auch von der Decke ab, so als Engel, das kommt irre.“ – „Hansi?“ sagte ich. „Ach so“, sage er, „,Nachttalk‘ kennst du doch, Freitag abend, wir blasen das Ding nicht aus Studio 1, sondern aus nem Bunker diesmal, die Bea gibt dir die Daten, ist ne echt scharfe Deko da. Und zieh was Gedrucktes an, bloß nix Weißes“. „Hansi, was soll ich da?“ sagte ich. „Bißchen quatschen“, sagt er, „das kannst du doch, kann doch jeder, zick dich nicht so.“ – „Aber wieso ich?“ – „Wir brauchten noch jemand“, sagte er, „da war noch ne Lücke. Jemand aus dem Volke. Ciao. – Ach so, kann sein, daß noch wer von der Kultur anruft.“ Klick, weg war er. Hansi. Er war so ein netter Student. So sensibel. Bea war tüchtig. Sie gab mir die Daten. Und stellte mir 300 Mark in Aussicht. Tschühüs!

Eine Stunde später, das Telefon, eine Dame. „Es geht um den neuen Grass“, flötete sie, „bei ,Kultur für Alte‘ im Dritten. „Den kenn ich gar nicht“, sagte ich. „Sie kennen Grass nicht?“ Ihr Ton wurde leicht spitz. „Schon“, sagte ich, „aber nicht den neuen“, sagte ich. „Aber das macht doch nichts“, sagte sie herzlich, „dafür haben wir ja unsere Fachleute im Ring. Nein, nein, Sie sitzen direkt in der ersten Bank. Und nach der ersten Kritikerrunde angeln wir ein bißchen im Publikum, und wenn die Reihe an Sie kommt, sagen Sie einfach Ihre Meinung, okay? Haben Sie nen kurzen Rock? Mit Stöckeln bitte! Wir brauchen hinter diesem Langweiler von der Süddeutschen nen kleinen Bickfang. Wenn Sie vorher zum Friseur müssen, bringen Sie die Quittung mit. Ich geb Sie jetzt zu Britta wegen der Daten.“ Britta war tüchtig. Sie stellte mir 200 Mark in Aussicht. Und dann fragte sie: „Waren Sie mal bei Schreinemakers?“ – „Ich?“ Ich war verwirrt. „Die Jungs von der Freizeit sind ein bißchen heikel“, sagte sie, „die wollen nur Erstverwertung.“ – „Freizeit?“ langsam wurde ich nervös. „Freizeit und Kirche“, sagte sie, „die sind da gerad am Scouten für'n neues Format, ich schieb Sie mal rüber, tschühüs.“

Klick, klick, „please hold the line“. Die Musik in der Warteschleife klang, als würde man einen Schwamm ausdrücken. „Ich bin der Friedhelm“, sagte eine sanfte Stimme, „ich stelle jetzt das Band an, und nach dem Piepton hast Du zwei Minuten.“ „Ahem“, sagte ich. „Ich weiß“, sagte er, „es ist schwer, so anonym darüber zu sprechen, aber glaub mir, du wirst dich besser fühlen danach, laß es einfach raus, auch wenn's weh tut. Wir können deine Stimme auch verzerren, wenn Du willst, kein Problem.“ „Verzerren?“ ich war baff. „Glaub mir“, sagte er, „Väter sind nicht nur Schweine, sie haben auch Gefühle, tief im...“ „Ich hab gar keinen Vater“, sagte ich. Pause Pause Pause. „Hallo?“ – „Ach, Scheiße“, sagte Friedhelm, und seine Stimme klang jetzt wie ausgewechselt, „die Schwachköpfe von der Zentrale verticken sich dauernd, ich nudel hier grad was über Vergewaltigung von sechs bis neun für die Nachtschiene. Stimmen sehen dich an ist der Renner im Moment. Senden wir nur die Blauwand dazu. Sie kommen von Britta, stimmt's? Folgendes: Wir ham n Teil in Arbeit: Das Tier im Menschen, und da is noch frei, Moment: Feldmaus, Tigerhai und Singdrossel. Können Sie sich was aussuchen.“ – „Aussuchen?“ ich hatte auch das Gefühl, kurz vorm Verticken zu sein. „Na“, sagte er, „es sieht doch so aus: In der Mitte sitzen unsere drei Psychos und immer ein Promi. Und das Publikum, das ist der Gag, das kommt in Tierverkleidung, verstehen Sie? Das Tier im Menschen, super, was? Das meiste ist schon weg, Löwe, Pudel, Kragenbär, der ganze Zoo ist schon weg, bis auf die drei. Also was jetzt?“ – „Tja“, sagte ich zögernd. „Wissen Sie was?“ sagte er, „ich trag Sie mal ein für die Feldmaus, okay? Die ist vom Kostüm her nicht schwer, der Hai macht mir Sorgen, das muß n Typ sein, find ich. Ham Sie nicht einen?“ Er stellte mich rüber zu Nadja. Wegen der Daten. Nadja war tüchtig. Sie stellte mir 400 Mark in Aussicht.

Nachts um zehn: „Ich bin's noch mal, Hansi. Paß auf: Asyl is nicht. Der Richter sitzt auf den Bermudas fest, und die Vollmer turnt mit n paar Ökos in Tirol rum, nur der Dyba wollte unbedingt, den nehmen wir jetzt mit rein in die neue Kiste. Sag mal, hast du Gummiwäsche? Tu mir den Gefallen und besorg dir welche. Höschen und Mieder, okay? Paß auf: Du sitzt genau links vom Bischof, neben dir der Peitschen-Otto, auf der anderen Seite diese Piercing-Tante und der Gefängnisdirektor, und zum Schluß kommt der Leadsänger der Gruppe Latex für den Bundeskanz ...“ „Ich in Gummiwäsche?“, frage ich besorgt, „neben Dyba?“ „Laß mich bloß nicht hängen“, knurrte er, „ich hab schon genug Streß am Hals. Den Typen, der die Hühner besteigt, hat mir grad RTL weggeschnappt, die Drecksäcke zahlen einfach besser, ach so die Gage: sind fünf Hunnis drin für Dich. Location bleibt der Bunker, das kommt echt gruftig, paßt auch viel besser dazu als diese blöde Asylscheiße, hat mir eh gestunken, das Ding, wirste nur depressiv von, und die Quote geht saumäßig in den Keller. – Und hör mal, wenn du die Gummi-Nummer bringst, dann bist du bei mir definitiv in der Kartei, dann hast du ausgesorgt knetemäßig, flexible Leute können wir gebrauchen.“

Jahrelang habe ich vor mich hingebröselt. Kein Schwein hat sich um mich gekümmert. Aber jetzt komme ich im Fernsehen. Ich wußte es immer schon: Irgendwas muß dran sein an mir.

Doris Becker