piwik no script img

Sexuell verschmolzene Klone

■ Schwänze und Tänze – Von Heiduck aus Kopenhagen mit „peepshow no. 3–4“

Was denkt man sich schon dabei, wenn eine Tanzveranstaltung im Tacheles den Titel „peepshow no. 3–4“ trägt? Nichts Besonderes. Sicher denkt man nicht, daß sich die Tänzer masturbierend über die Bühne wälzen und daß es so aussieht, als würde ein Mann von einer Frau, die sich um ihre Hüften einen erigierten Schwanz geschnallt hat, in den Arsch gefickt. Das Gestöhne wird über ein an der Rampe befestigtes Mikro verstärkt, am Ende spuckt er weißen Schleim und ißt ihn genüßlich wieder auf.

Von Heiduck, so heißt die Truppe, kommt aus Kopenhagen, und sie macht Ernst. Das ahnungslose Publikum ist geschockt, wenn auch vielleicht nur die ersten 10 Minuten – aber schon allein deswegen ist Von Heiducks „peepshow no. 3–4“ ein Ereignis. Sexuelle Praktiken werden nicht aus-, sie werden eingeführt.

Im ungewohnt prunkvoll ausgestatteten Tacheles-Theatersaal mit schweren, roten Samtvorhängen, mit Pianisten am Flügel und Opernsängerin wird die Lust am Laster als Kunst zelebriert, werden Nietzsche und Baudrillard zitiert, wird mit Elementen des Barocktheaters ebenso wie mit denen von Porno-Shows jongliert, wird der Tanz zur ornamentalischen Ausschmückung des Bösen.

Wohl mehr als eine Szene dürfte aus den Romanen de Sades entlehnt sein. Da gibt es die Unschuldig-Naive (blond) und die lasterhaft Verworfene (schwarzhaarig), die sie quält und zur Masturbation zwingt. Da gibt es zwei männliche Sklaven der Lust und ein wirklich beunruhigendes Pärchen: ein Lesbenpaar, gleich groß und ungefähr gleich schwer, die Gesichter zu Masken geschminkt, scheinen sie sexuell verschmolzene Klone zu sein. Irgendwo zwischen Science- fiction und Comic angesiedelt, sind sie die geheimen Meisterinnen des als Nummernrevue angelegten Stücks, durch das die immer gleichen Figuren taumeln.

Die „peepshow“ sei ein über mehrere Jahre angelegtes Experiment, in dem man verschiedene Aspekte der Begierde aufzeigen wolle, heißt es im Programmheft. Am Ende hält eine Frau ein Vergrößerungsglas vor ihre gespreizten Beine und zeigt uns eine ins Unendliche vergrößerte Klitoris. Über dem Glas ragen ihr zu absurder Kleinheit geschrumpfter Oberkörper und ihr Kopf hervor.

Von Heiducks „peepshow“ ist ebenso ironisch wie bösartig, und anders würde der Abend wohl auch kaum funktionieren. Nur ist er leider eine halbe Stunde zu lang. Michaela Schlagenwerth

Bis 4.10., 20.30 Uhr, Tacheles

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen