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...und fertig ist der Cyberfilm

„The Net“, „Hackers“, „Exit Out“: Das Kino entdeckt das Internet. Doch warum heute noch neue Plots erfinden? Einige Vorschläge zur zeitgemäßen Recyberung von Klassikern  ■ Von Tilman Baumgärtel

Willkommen auf dem Info-Hypeway! „The Net“ ist nur der erste in einer Reihe von Hollywood-Filmen, die sich mit Internet, Virtual Reality, Cyberspace beschäftigen. Nach „Batman Forever“ und „Enthüllungen“ stehen uns in den nächsten Monaten unter anderem bevor: „Hackers“, „Virtuositity“, „Exit Out“ und „Johnny Memnonic“, die Verfilmung einer William-Gibson-Kurzgeschichte. Diese Filme funktionieren nach folgendem Prinzip: Nimm einen sattsam bekannten Plot, klatsche einige „Cyber-Elemente“ dran, beschäftige einige Software-Heinis, die fetzige Computer-Special-effects programmieren können, und fertig ist der Internet-Film. Darum braucht man sich gar nicht mehr umständlich irgendwelche neuen Geschichten auszudenken. Warum nicht einfach ein paar alte Filmplots nehmen und „vercybern“? Hier einige Vorschläge:

Das Fenster zum Hof

Jeff (Keanu Reeves) ist diesmal nicht ein Fotograf, der sich beim Sport ein Bein gebrochen hat, sondern ein Paintbox-Experte, dem beim Bungee-Springen die Bänder gerissen sind. Dank seines Modems kann er trotzdem in seiner Wohnung tele-arbeiten. Da er ganz darin versunken ist, dreidimensionale Kickboxerspiele zu rendern, würde er einen Mord nicht mal bemerken, wenn er bei ihm im Wohnzimmer stattfände. Dafür entdeckt er, daß einer seiner Tele-Kollegen auf seiner Festplatte eine Raubkopie vom letzten Windows-95-Upgrade hat. Jeff versucht seinen Kollegen per E-Mail von weiterer Software-Piraterie abzuhalten. Ein Flamewar bricht los, bei dem auch das Powerbook von Jeffs Freundin Lisa (Sandra Bullock) in Gefahr gerät ...

Problem bei der Cyberversion: Windows 95 ist nicht Powerbook- kompatibel.

Citizen Kane

Obwohl sich Bill Gates (Dennis Hopper) vom Farmersohn zum reichsten, tollsten und beliebtesten Software-Tycoon des 20. und 21. Jahrhunderts hocharbeitet, kann er bis zu seinem Lebensende seinen kleinen Taschenrechner Rosebud von Texas Instruments nicht vergessen. Auch der größte Triumph seiner Karriere (bei Windows 95 können Dateinamen mehr als acht Zeichen haben) bleibt letztlich schal: Nach der Veröffentlichung verläßt ihn seine junge Frau (Sandra Bullock), um Busfahrerin zu werden.

Problem bei der Cyberfassung: Das Budget für Special-effects und Make-up könnte bei dem Versuch, Bill Gates Haarschnitt zu simulieren, ins Astronomische steigen.

Mad Max the Road Warrior

In einer apokalyptischen Zukunft haben sich die führenden Computerkonzerne gegenseitig zerstört. Nach einem Virus-Krieg zwischen Microsoft und MacIntosh schließen sich die überlebenden User zu im Internet vagabundierenden Hacker-Stämmen zusammen. Ihr Ziel: intakte Glasfaserkabel, die sie zum Überleben brauchen. Mad Max (der mit Quicktime V.R.1.0 zum Leben erweckte Brandon „Die Krähe“ Lee) schwört Rache, nachdem seine Frau (Sandra Bullock) bei einem Überfall auf seine ISDN-Telefonbuchse von den Hackern mit einem externen Faxmodem erschlagen wurde: Er will dem Boß der Gang (Dennis Hopper) die Festplatte neu formatieren.

Problem bei der Cyberfassung: Brandon-Lee-Programm braucht noch zuviel Arbeitsspeicher.

Ein Mann sieht rot

Im Original ist Paul Kersey ein renommierter New Yorker Architekt, der Amok läuft, nachdem Einbrecher seine Frau umgebracht haben. Auf der Suche nach dem Mörder gibt es darum Schlägereien, Verfolgungsjagden, Schießorgien und Nonstop-Designergewalt. Im Remake ist Kersey (Sandra Bullock) eine introvertierte Programmiererin, die durch genaue Beobachtung und intensive Internet-Recherche die Mörder entlarvt. Auf einer speziell für sie programmierten World-WideWeb-Seite schnappt die Falle zu ...

Problem bei der Cyberversion: Der Film ist jetzt etwas langweilig.

Die Hard III

Eine deutsch-iranisch-israelische Terroristengruppe will eine New Yorker U-Bahn entführen, um damit die amerikanische Bundesbank zu überfallen. Da sie sich aber in einem Keller in Ost-Jerusalem verstecken, müssen sie dafür das Internet benutzen. Bruce Willis steht vor einer schweren Entscheidung: Entweder er lernt Unix, oder Sylvester Stallone bekommt die Rolle.

Problem bei der Cyberversion: Internet-Filme ohne Sandra Bullock sind stark flop-verdächtig.

Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben

Ein verrückter Programmierer (Keanu Reeves) entwickelt eine Version von Netscape, die unter Wasser funktioniert. Um ihn zu übertrumpfen, entwickelt ein noch verrückterer Programmierer (Dennis Hopper) eine Version von Netscape, die im luftleeren Raum funktioniert. Bald sind alle Programmierer der Welt damit beschäftigt, sinnlose Versionen von Netscape zu schreiben. Niemand will mehr an neuen Versionen von Microsoft-Programmen arbeiten, und das Ende der Zivilisation (Sandra Bullock) bricht an: Motorsägen-Nazi-Schamanen-Gangs terrorisieren die Welt, in mehreren europäischen Großstädten wütet die Cholera, und „Illona Christen“ wird vorübergehend abgesetzt.

Problem bei der Cyberversion: hat nichts mit dem Original zu tun.

Szenen einer Ehe

In sechs Kapiteln wird der Erosionsprozeß einer Ehe zwischen zwei Cyborgs beschrieben. Bergman, der schon beim Original Regie geführt hat, gelingt es meisterhaft, jene Verdrängungsmechanismen aufzuzeigen, die das alltägliche Leben in den meisten Ehen dieser Gesellschaftsschicht bestimmen. Besonders die Gestaltung der weiblichen Hauptfigur Marianne (Photoshop 4.0) muß als große Schauspielkunst gewürdigt werden.

Problem bei der Cyberfassung: Wim Wenders „präsentiert“ das Remake.

M – Eine Stadt sucht einen Mörder

Ein Triebtäter (Klaus Löwitsch) schickt schmutzige E-Mail und pornografische Fotodateien an minderjährige Hacker. Da er dafür einen anonymen Internet-Remailer in Norwegen benutzt, kann man ihm nichts nachweisen, und der Plot muß geändert werden: Im Mittelpunkt steht jetzt der brummige Kommissar Lohmann (Götz George). Komödiantische Verwicklungen entspinnen sich, als sein Revier, eine typische Polizeistation im Berlin der zwanziger Jahre, eine neue EDV-Anlage bekommt ...

Probleme mit der Cyberversion: keine.

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