■ Querspalte: Born to be wild
Daß unsere Sprache zwei Verwendungen des Begriffs „Entzug“ kennt, kann kein Zufall sein: Drogenentzug und Führerscheinentzug. Beides sind quälende Prozesse, oft erfolglos und von der Vernunft nicht zu steuern. Doch während Drogenberater schon lange einsehen, daß sie mit dem Spruch „Keine Macht den Drogen“ nichts erreichen, steht diese Erkenntnis bei den Autogegnern noch aus. „Mobil ohne Auto“. Jedes Jahr erleben wir die gleiche Kampagne – attraktiv wie ein Abstinenz-Appell der Heilsarmee neben einem Glas Caipirinha. Ein wegweisender Vorschlag für neue Protestformen stammt von der Münchner Bürgermeisterin Sabine Csampai. Sie fordert, am 2. November den öffentlichen Nahverkehr einfach stillzulegen. Jeder Radler rein ins Auto, jedem Fußgänger einen Leihwagen, und los geht's. Ungeahnte Staupotentiale werden erkennbar, wenn auf Münchens Straßen nicht mehr nur zwanzig Millionen Autokilometer täglich gefahren werden, sondern vielleicht vierzig. Und wer sonst gegen Radler wettert, erkennt ihre Funktion als Stauvermeider und Luftverbesserer.
Doch gleichzeitig erscheinen einige Mahnungen angebracht, bevor das System den großen Kladderadatsch erleben darf. So sind Staumeldungen im Radio an jenem Tag unbedingt zu verbieten, um gestaute Wut nicht in Amokläufe münden zu lassen. Songs wie „Born to be wild“ sind ebenfalls tabu, statt dessen empfiehlt sich nach sowjetischem Vorbild getragene Trauermusik. Sollte die Aktion im Berufsverkehr unerwartete Folgen haben, wären die Radionachrichten durch psychologische Ansprachen zu ersetzen: „Atmen Sie ruhig, nehmen Sie die Energie aus Ihren Beinen und lassen Sie den Atem fließen.“ Anzuraten wäre zusätzlich eine kollektive Volksentwaffnung, um Straßenschlachten zu vermeiden. Messer, Gabel, Scher' und Licht wären bei den Polizeidienststellen abzuliefern, hilfsweise auch beim ADAC. Lediglich die Forderung an die Autofahrer „Gebt den Löffel ab“ erscheint etwas gewagt. Also dann: Gib Gas, ich will Staus. Felix Berth
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen