: Scheidung durch Arbeit
Im Osten Berlins steigt die Zahl der Scheidungen fünf Jahre nach der Einheit. Trennungsberatungsstellen haben mit verlassenen Männern zu tun ■ Von Kathi Seefeld
Wer im Osten der achtziger Jahre nicht mindestens einmal geschieden war, galt als hausbacken und uninteressant. Das geflügelte Wort von denen, die die Ehepartner schneller wechseln als die Unterhemden, machte die Runde. Jede dritte Ehe in Berlin ging früher oder später in die Brüche, und die politbürokratischen Altherrenriege um Erich Honecker hatte ihre liebe Not, den ganzen Stolz des Sozialismus – die jungen Familien – länger als bis zur Abzahlung des Ehekredits oder dem Bezug einer Neubauwohnung beieinander zu halten.
Zwar kennt nach einer nichtrepräsentativen Umfrage unter acht befreundeten Ehepaaren noch jeder die Geschichten von ein, zwei sogenannten Parteiverfahren gegen einen Betriebsdirektor oder Parteisekretär, der seine Mitarbeiterin oder Sekretärin mehr begehrte als das ihm angetraute Eheweib, doch spätestens nach den Tagen und Nächten der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1973 dem Ostteil der Stadt die sexuelle Befreiung bescherten, hatte höchstens noch die Stasi am Fortbestehen verkorkster Beziehungen Interesse.
Mit der Wende kriegten die scheidungsfreudigen Ostgermanen allerdings das große Zähneklappern. Im Jahr der deutschen Vereinigung standen in Berlin-Ost 8.668 Eheschließungen noch 2.439 Scheidungen gegenüber, ein Jahr später gab es zwar weniger Leute, die heirateten (5.398), aber auch deutlich weniger, die auseinanderliefen, nämlich nur noch 846.
„Die Leute mußten sich erst einmal daran gewöhnen, daß Scheidung eine Sache ist, die nicht in einer halben Stunde gemacht ist, sondern ein langer, komplizierter Weg, für den man einen Anwalt braucht und der schmerzlich viel Geld kostet“, so Alexandra Otto, Diplompsychologin in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle Lichtenberg. „Es kursierten die reinsten Horrorgeschichten“, ergänzt Johanna Linsener, die Leiterin der Einrichtung, die seit 1993 auch in Trennungs- und Scheidungsangelegenheiten berät.
Seit etwa einem Jahr scheint der Schock überwunden. Barbara L. reichte im März dieses Jahres die Scheidung ein. Zuvor hatte sie ein Fitneßstudio reich gemacht, 18 Kilo abgespeckt und frisch gestylt eine neue Arbeit gefunden. Als ihr Dieter dann wie jeden Samstag wieder einmal den Rasen des gemeinsamen Gartengrundstücks mähte, „statt sich mit mir zu unterhalten, sagte ich ihm, daß er fortan nur noch dort übernachten könne.“ Dieter fühlt sich wie viele andere Ostmänner als Verlierer der deutschen Einheit.
Ein Einzelfall ist Dieter jedenfalls nicht. So hieß es in einem lokalen Anzeigenblatt im Prenzlauer Berg von dieser Woche: „Willst Du einen alleinerziehenden Vater kennenlernen? 28, 1.85, schlank sportl.-muskulö. Typ, der um das Sorgerecht für seinen Sohn Johannes, 6 Jahre, nicht mal kämpfen mußte? Da der Mutter das Familienleben zu anstrengend erschien, davonging.“ Männer, deren Frauen den Sprung in die neue Gesellschaft durch die Entscheidung für die Karriere geschafft haben, schätzt Alexandra Otto so ein. „Sie trennten sich von den eher verharrenden Partnern und den Zeit und Bindung verlangenden Kindern.“ Doch ob Karriere oder Arbeitslosigkeit – nicht zwanghaft muß daran die Ehe scheitern. Lediglich dort, vermutet Johanna Linsener, wo ohnehin Kommunikationsstörungen vorhanden waren, konnten die Belastungen, die der gesellschaftliche Umbruch mit sich brachte, nicht kompensiert und adäquat bewältigt werden.
Die Scheidungsgründe im Osten, so Johanna Linsener, sind so verschieden wie das Leben nur sein kann. Männer, die mit dem Gefühl einer neuen materiellen Verantwortung plötzlich den Macho heraushängen lassen, liefern sie ebenso wie Frauen, die unter dem Hausfrau-Mutter-Syndrom leiden. Nicht zuletzt schafft ein unendlich großes Angebot an Reisen, Sport- und Freizeitmöglichkeiten Befriedigung auch auf anderer Ebene. Der Spaß am Sex wird dem Arbeitsalltag geopfert. „Die Ehe muß sich heute von anderen Angeboten deutlich abheben, um ihren Reiz nicht zu verlieren.“
Wie stark der Wunsch nach Trennung in noch nicht geschiedenen Beziehungen im Ostteil der Stadt ausgeprägt ist, kann nur vermutet werden. In einer nichtrepräsentativen Umfrage unter acht befreundeten Pärchen darf man allerdings davon ausgehen, daß es die Scheidungsstatistik der nächsten Jahre garantiert an den Tag bringen wird: Die Ostberlinerinnen sind auch in dieser Frage imstande zu überholen, ohne einzuholen.
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