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IG Metall freut sich

■ Am Sonntag führt die Metallindustrie die 35-Stunden-Woche ein. Künftig wird vor allem über flexiblere Arbeitszeiten gestritten

Berlin (taz) – Über eine Frage streiten die Tarifparteien bis heute. Die Frage nämlich, wieviel Jobs sie denn nun genau gebracht habe, die 35-Stunden-Woche, die in der westdeutschen Metallindustrie von Sonntag an umgesetzt wird. „Die 35-Stunden-Woche ist das wirksamste Programm gegen Arbeitslosigkeit“, schwärmt IG-Metall-Chef Klaus Zwickel noch heute. „Ein Bärendienst für den Industriestandort Deutschland“, rügt dagegen der Gesamtmetall- Hauptgeschäftsführer Dieter Kirchner. Je nach Rechenmethode ergeben sich höchst unterschiedliche Beschäftigungseffekte.

Kirchner spricht von 200.000 verlorenen Jobs und meint damit schlichtweg den Stellenabbau in der westdeutschen Metallbranche. Der wäre aber ohne die Verkürzung von 40 auf 35 Stunden in den letzten zehn Jahren wahrscheinlich noch viel schlimmer ausgefallen. Die IG Metall dagegen lobt den Gewinn von 300.000 Stellen. Die Metaller rechnen dabei die verminderte Arbeitszeit zur Hälfte in neue Stellen um. Bei beiden Rechnungen hapert es: Sie können an der Realität nicht überprüft werden. „Wie sich Arbeitszeitveränderungen auf andere ökonomische Größen wie Produktivität, Beschäftigung und Wirtschaftswachstum grundsätzlich auswirken, ist nicht eindeutig auszumachen“, räumt Franz Josef Link ein, zuständiger Referatsleiter beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Link hat in einer neuen IW-Studie einen internationalen Vergleich versucht. Der ergab Widersprüchliches. In Deutschland beispielsweise wurde von 1980 bis 1994 die Arbeitszeit verkürzt und die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung nur geringfügig gesteigert. In den USA wurde die Arbeitszeit verlängert, und gleichzeitig wurden prozentual sehr viel mehr Jobs geschaffen als hierzulande. In den Niederlanden wiederum arbeiteten die Menschen kürzer, erzielten jedoch eben durch die verstärkte Teilzeitarbeit den kräftigsten Beschäftigungsanstieg von allen großen Industrieländern.

Wie auch immer: Massive Arbeitszeitverkürzungen ohne reale Lohneinbußen werden künftig wohl kaum mehr möglich sein, darüber sind sich die Tarifparteien im klaren. „Künftig werden die Fragen der Überstunden und die Zeitsouveränität der Beschäftigten eine große Rolle spielen“, sagt Michael Böhm, Sprecher der IG Metall Berlin. Wenn Überstunden nicht mehr bezahlt, sondern abgebummelt werden, müssen für die freien Kapazitäten Jobs geschaffen oder erhalten werden. Der Wegfall der gutbezahlten Überstunden wäre allerdings ein Opfer für manche Beschäftigten. Ein Opfer zugunsten der Arbeitslosen. Barbara Dribbusch

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