: Tausche den Schatz des Priamos gegen...
■ „Auf Rechtsstandpunkten nicht bestehen, sondern große Gesten üben“ – Eine Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Beutekunst
Eine deutsch-ukrainische Debatte hätte es werden sollen. Eine deutsche Debatte wurde es. Aber dafür konnte die Friedrich-Ebert- Stiftung nichts, die kürzlich zu einer Veranstaltung zum Problem „Gerettet oder geklaut – zum Umgang mit kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern“ ins Zeughaus geladen hatte. Der mit Spannung erwartete ukrainische Kulturminister Mikolaij M. Jakovina – immerhin der Vertreter eines Landes, das von den Nazis ab 1941 wie kein zweites Territorium ausgeplündert wurde – saß nicht mit auf dem Podium. Der Mann war wenige Stunden zuvor, warum wußte niemand, in Kiew entlassen worden.
Das war Pech für die Stiftung, und indirekt auch für die SPD, die das Problem verschollene Kunstobjekte noch nie auf der Tagesordnung hatte. Otto von Gablentz, der deutsche Botschafter in Moskau, gestand – zwar kunstvoll verkleidet, aber dennoch unüberhörbar – ein, daß man derzeit in Bonn keinen Schimmer habe, wie man an die Millionen Kunstwerke, Bücher, Archivalien herankommen könnte, die von den sowjetischen Trophäenkommissionen und Soldaten ab April 1945 aus Deutschland herausgeschleppt wurden und zum großen Teil seitdem verschwunden sind.
„Die Sache ist stimmungsmäßig und politisch blockiert“, konstatierte er freundlich. Ja mehr noch. Sollte im Oktober die Duma in Moskau den befürchteten Gesetzentwurf verabschieden, wonach alle erbeuteten Kunstobjekte als legale – restitution in kind –, also als „Rückerstattung“ für die von den Nazis geraubten Werte, anzusehen sind, wäre definitiv Eiszeit angesagt. „Irgendwann wird zwar die nationalistische Welle in Rußland vorbei sein und sich die Einsicht, daß Kunstraubzüge nicht mehr in die Welt der Kooperation passen, wieder durchsetzen“, meinte der Botschafter. Aber bis dahin wisse man wirklich nicht mehr, „was man machen könnte, wenn man dann kann“. Seine Klage, daß es derzeit keine kompetenten Gesprächspartner mehr gebe, konnte jeder der etwa 200 ZuhörerInnen nachvollziehen, wenn sie auf das geschrumpfte Podium blickten.
Wolfgang Eichwede, Direktor des Osteuropa-Institutes in Bremen und international einer der kompetentesten „Kunstraubexperten“, sowie Hans-Joachim Giersberg, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (der alleine 3.200 Bilder aus Berlin in Rußland vermutet), zeigten sich nicht ganz so pessimistisch. Zwar wäre es eine „Katastrophe“, wenn die Duma den Gesetzentwurf tatsächlich verabschieden würde, eine Katastrophe auch für die um die Aufarbeitung des Stalinismus bemühten und deshalb verhandlungswilligen Kräfte in Rußland, aber an diesen Ernstfall glaube er nicht, meinte Eichwede. Boris Jelzin würde es nicht riskieren wollen, seinen restdemokratischen Nimbus zu verspielen.
Eichwede nutzte die Gelegenheit im Zeughaus vor allem, um dem deutschen Botschafter und damit der Bundesregierung die Leviten zu lesen. Zwar beklagte auch er, daß sich die russische Seite „verhärtet“ habe, aber das ganze Deasaster könne man nicht alleine auf die neonationalistische Stimmung in Rußland schieben. Deutschland habe es vor allem in der Glasnostperiode um 1992 versäumt, ihre Gesprächspartner mit „großen symbolischen Gesten“ politisch zu unterstützen, das heißt „innenpolitisch aufzuwerten“. Und er führte ein Beispiel an. Hätte man etwa das Museum Zarskoje Selo bei Petersburg darin unterstützt, das von den Nazis dort geraubte und seitdem verschwundene Bernsteinzimmer wieder zu rekonstruieren, wären die Verhandlungen heute nicht so „festgefahren“. Bernsteinzimmer gegen den Schatz des Priamos? Die Modernisierung der russischen Bibliotheken gegen die Gutenbergbibel? Wolfgang Eichwedes Vorschläge gehen in diese Richtung, obwohl er sehr sorgsam das Wort Kompensation vermied. Dem Wissenschaftler geht es vor allem darum, daß die Bundesrepublik davon abkommt, sich alleine auf die Rechtsstandpunkte zu berufen. Mit der ständigen Berufung auf die Haagener Landkriegsordnung von 1907, die den Kunstraub international ächtet, und die beiden deutsch- russischen Verträge von 1990 und 1992 komme man nicht mehr weiter.
Sehr wohl aber mit Gesten. Und wie dies funktioniert, machte er wiederum mit einem Beispiel deutlich. So hatte ihm vor kurzem ein ehemaliger sowjetischer Soldat in Kiew ein Bild von Hans von Marees geschenkt, ein Porträt, das einst in der Bremer Kunsthalle hing. Wert: 800.000 Mark. Das ukrainische Kulturministerium half Eichwede, alle Exportbeschränkungen zu überwinden. Drei Wochen nach diesem Transfer erhielt das Kiewer Museum 732 Bücher aus dem Pfahlbaumuseum am Bodensee, Bücher, die einst ein deutscher Soldat in der Ukraine gestohlen hatte. Hätte die Bundesregierung und nicht eine private Initiative (die Lufthansa) den Transport bezahlt, meinte Eichwede, wäre dies auch eine offizielle Goodwill-Geste gewesen. Wenn diese weiter ausblieben, bestehe die Gefahr, daß sich das fortsetze, was derzeit Konjunktur hat. Beutekunst aus russischen Geheimdepots werden in deutschen Hinterzimmern verscherbelt, ein drittes Mal der Öffentlichkeit entzogen. Anita Kugler
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