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■ Aus Rot-Grün gelernt?Der Spagat ist keine grüne Turnübung mehr

Der Autor war in Zeiten der rot- grünen Koalition Vorstandsmitglied der Grünen, verließ die Partei und ist jetzt PDS-Abgeordneter Foto: Paul Glaser

Die mit einer rot-grünen Koalition verbundenen Hoffnungen haben sich seit 1989 deutlich verändert. Christian Ströbeles euphorisches Wort von der „Jahrhundertchance“ steht gleichermaßen für die damaligen illusionären Erwartungen an eine rot-grüne Regierung wie für die heillose Selbstüberschätzung der eigenen politischen Möglichkeiten seitens der Alternativen Liste. Heute sind die Grünen realistischer geworden. Sie müssen sich nicht mehr an den eigenen Illusionen berauschen, um sich selbst die Realität sozialdemokratischer Regierungspraxis schönzureden. Die Bundesvorstandssprecherin Krista Sager traf nach dem Abschluß der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in NRW die nüchtern-realistische Feststellung, daß Rot-Grün gegenwärtig „kein Reformprojekt“ ist.

Ein neuerliches „Konfliktbündnis“ wie 1989, das, geschüttelt von dem Widerspruch zwischen den Illusionen der grünen Mitgliedschaft und der von den Sozialdemokraten gezogenen „Grenze des Machbaren“, die permanente Koalitionskrise zur Daseinsform erhebt, würde die Neuauflage einer rot-grünen Koalition in Berlin also nicht werden.

Dabei ist heute die Kluft zwischen der von der SPD in der Großen Koalition mitzuverantwortenden Politik und den von den Grünen in der Opposition dagegen vertretenen Positionen größer als 1989, als beide Parteien aus der Opposition gegen den damaligen CDU/FDP-Senat heraus an die Regierung kamen. Es wäre etwa mehr als naiv zu glauben, die SPD ließe von den beiden – von den Grünen vehement bekämpften – verkehrspolitischen Projekten des Hauptstadtumbaus, Lehrter Zentralbahnhof und Tiergarten-Tunnel, unter Rot-Grün ab.

Der von der SPD mitgetragene brachiale Ausbau Berlins zur internationalen Dienstleistungsmetropole läßt sich vielleicht in der politischen Rhetorik mit der Forderung nach einer ökologischen und sozialen Stadtentwicklung harmonisieren. In der politischen Wirklichkeit jedoch verschlingen die städtebaulichen Großprojekte die für eine sozialverträgliche und behutsame Stadterneuerung notwendigen Mittel. Dieser Wachstumskurs führt zum Anheizen der Spekulation und zur Verdrängung von BewohnerInnen und Gewerbe aus ihren angestammten Stadtquartieren und damit zu einer sozialen und räumlichen Spaltung der Stadt – ganz zu schweigen von ihren verkehrspolitisch und ökologisch fatalen Konsequenzen.

Ankündigungen von grüner Seite, daß vor Bildung einer rot- grünen Koalition die SPD ihre Haltung zu den Großprojekten ändern und eine Einigung in der Finanzpolitik stehen müsse, mag subjektiv ehrlich gemeint sein, wird jedoch für das Ergebnis rot- grüner Koalitionsverhandlungen nicht weiter relevant sein. Denn diese sind noch nie daran gescheitert, daß die Grünen in der Sache hart geblieben sind, sondern immer nur – wie in Hamburg und Bremen – an mangelnder Courage der SPD. Vor die Wahl gestellt, den Bau des Tiergarten- Tunnels mit einem Programm zum Ausbau des ÖPNV „versüßt“ zu bekommen oder die Große Koalition mit Tiergarten- Tunnel ohne derartige „Kompensationsleistungen“ fortzusetzen, ist schon klar, wie sich eine grüne Landesdelegiertenkonferenz oder Mitgliedervollversammlung entscheiden wird.

Die Kluft zwischen grüner Programmatik und Regierungspraxis wird 1995 also eher noch schroffer sein als 1989. Aber die Bündnisgrünen werden sich weniger als 1989 im Spagat zwischen ihrer Funktion als Regierungspartei und der Opposition gegen die von ihr selbst mitverantwortete Politik befinden. Das liegt zum einen an der „realpolitischen Läuterung“ der Grünen und dem Exodus einer ganzen Schicht von Linken und BasisaktivistInnen vor allem im Jahr 1990. Zum anderen können sich jetzt Kritik und politischer Druck im parteipolitisch-parlamentarischen Raum außerhalb der Bündnisgrünen über die Existenz der nicht in die Regierungsdisziplin eingebundenen PDS ausdrücken.

Rot-Grün zwar nicht als „Reformprojekt“, sondern gegenwärtig als „kleineres Übel“ mit einer linken Opposition als Stachel – dies könnte gegenüber dem Mehltau einer Großen Koalition nicht nur eine produktive Konstellation für eine sichere Mehrheit links von der CDU sein, sondern wäre auch die Bedingung, daß überhaupt wieder die Auseinandersetzung um eine Reformperspektive eröffnet werden kann. Voraussetzung wäre allerdings, daß diese Mehrheit genutzt wird – dazu scheint der SPD jedoch zur Zeit der politische Wille und den Grünen zumindest der Glaube zu fehlen. Harald Wolf

wird fortgesetzt

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