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Goldbrockat ums Fußgelenk

■ Sari-Ausstellung im KITO zeigt Weberkunst in Vollendung

Golden schimmert es aus dem Halbdunkel. Die freistehenden Balken bilden eine Allee, die direkt auf eine dezent beleuchtete Kostbarkeit aus dunkelroter Seide hinführt. Die Leuchtkraft der eingewebten Goldfäden reicht bis zum anderen Ende des Raumes und kommt dort als leichtes Flimmern an. Dabei ist es eigentlich nur ein Stoff mit eingewebtem Muster, der dort glatt von der Decke herunterhängt. Doch genaugenommen ist es viel mehr als ein Stück Stoff. Kunstvoll geschlungen verwandelt es sich in einen Mythos. Denn der Sari – das klassische Kleidungsstück der indischen Frauen, wurde unzählige Male besungen und beschrieben.

Fünfzig solcher textilen Schmuckstücke sind seit gestern im KITO zu sehen. Die Ausstellung ist Teil des Kulturfestivals „Indien verstehen“. Katharina Poggendorf und Claus Hößelbarth, die OrganisatorInnen, haben sich lange Gedanken gemacht, welche Kunstform denn „typisch“ für Indien sei und sich ausstellen ließe. Saris scheinen eine ideale Lösung, nicht nur weil jeder dabei sofort an Indien denkt, sondern auch weil es ein wichtiger Zweig der indischen Industrie ist. Denn neben den großen industriellen Webereien gibt es heute noch 20 Millionen Handweber, die hauptsächlich Saris herstellen.

„Ein richtiger Sari braucht eine Bordüre an der Längsseite und ein besonders gestaltetes Endstück, sonst ist es kein Sari“, sagt Dr. Jyotindra Jain entschieden. Er muß es wissen, denn er ist Direktor des Crafts Museum in Neu Delhi, Kulturanthropologe und Historiker. Die Textiltradition in Indien ist eins seiner Spezialgebiete. Die im KITO ausgestellten Saris sind von ihm handverlesen und repräsentieren nicht nur verschiedene Regionen, sondern reichen auch vom Witwen- über den Alltagssari bis zu regelrechten Prunkgewändern.

Ungewohnt sind die transparenten Saris, die neben ihren reich bestickten Schwestern etwas flatterhaft wirken. Damit den Körper vor Blicken zu verbergen scheint ein aussichtsloses Unterfangen. „Diese Saris stammen aus Benares, es sind wirklich Kunstwerke“, Dr. Jain kommt ins Schwärmen, „ein Faden Gold und ein Faden weiße Seide, sonst nichts.“ Unter diesem Hauch aus Gold tragen die Frauen allerdings genähte Röcke, was sonst in Indien unüblich ist.

„Bereits vor 3.000 Jahren gab es gewickelte, ungenähte Kleidung für Männer und Frauen. Nur der moderne Sari ist erst 150 Jahre alt“, erklärt Dr. Jain. Zu der modernen Version gehört eine enge, kurze Bluse und ein Stück Stoff, das 1 bis 1,20 m breit und 5 bis 7 m lang ist.

Auch wenn viele junge Frauen heute meist Rock und Bluse oder Jeans tragen, nach der Hochzeit wickeln sich fast alle wieder in den Sari. Zu diesem Traditionsbewußtsein paßt auch die Anekdote über westliche Mode in Indien. Da eröffnete Dior vor einigen Jahren eine Boutique an Neu Delhis Einkaufspromenade, um den modernen Inderinnen den Pariser Schick nicht länger vorzuenthalten. Doch leider waren die großstädtischen Damen gar nicht so versessen auf die kleinen rosafarbenen Bouclé-Kostümchen. Dior verstand, und schloß die Boutique in Neu Delhi.

„Es gibt eine Semiotik des Saris“, erklärt Dr. Jain. „Man kann nicht nur den Familienstand ablesen, sondern erkennt an Wickeltechnik, Webart und Stickerei auch aus welcher Region die Frau kommt und welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehört.“ Die Vermutung, daß die Frauen mit dem Sari auch aktiv kommunizieren können, macht den Wissenschaftler etwas verlegen. „Das wird öffentlich kaum jemand zugeben, aber Männer reden ständig über die Saris der Frauen. Dieses Bedecken und dann wieder Freigeben, das ist schon sehr erotisch. Frauen signalisieren zum Beispiel ihr Interesse, indem sie mit dem Sari spielen und ihn immer wieder neu drapieren.“

Doch die verschiedenen Wickel- und Signaltechniken stehen nicht im Mittelpunkt der Ausstellung, vielmehr soll die Schönheit der Stücke und damit die Kunstfertigkeit der Weber hervorgehoben werden. Das ist in der Ausstellung auch gelungen. Die sehr zurückhaltende Beleuchtung unterstützt die sinnliche Annäherung an die Stoffe, die damit Kunstwerken gleichgestellt werden. So wie man in einer Cezanne-Ausstellung auch nicht die Pinselführung schematisch darstellt und erklärt, verzichtet das KITO auch auf Grafiken und langatmige Erklärungen zu den einzelnen Webtechniken. Man überläßt die BesucherInnen dem puren Genuß.

Wer aber doch genauer wissen möchte, wie es gemacht wird, der muß den beiden eingeladenen Webern auf die Finger schauen, die täglich in der Ausstellung von 11 bis 18 Uhr eine Brokat-Gold- und eine Ikat-Weberei vorführen werden.

kaz

Die Sari-Ausstellung im 1. Stock des Kito ist bis zum 29.10.95, immer Di bis So von 11-18 Uhr geöffnet.

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