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Technik – Fluch oder Segen? Von Martin Sonneborn

„Oha“, dachte sich Bob Guccione, Verleger des amerikanischen Magazins Penthouse, und bot seinem technologieverachtenden Landsmann und Serienmörder namens Unabomber eine monatliche Kolumne an. Technologiekritiker, die sich schon immer gefragt haben, wie man Kolumnenschreiber bei Penthouse wird, wissen jetzt endlich Bescheid; flugs ein paar Briefbomben auf die Post gebracht, und drei Tote später klingelt das Telefon: „Hi, here's Bob!“ Wenn der potentielle Kolumnist bei seiner nächsten Sendung einen halbwegs lichten Moment erwischt, geht sie per Einschreiben an die Adresse von Guccione.

Technologiekritiker, die sich schon immer gefragt haben, wann und wo genau eigentlich das Zeitalter der Technik Einzug gehalten hat in unserer Zivilisation, wissen jetzt noch nicht Bescheid. Aber gleich: Peter Wendling hat es nämlich so ganz nebenbei aufgedeckt; in seinem neuesten Buch „Kelly- Family. Die Geschichte einer Supergruppe“.

Peter Wendling – um die obligatorische Zwischenfrage der Technologiekritiker vorwegzunehmen –, Peter Wendling ist Journalist und Sachbuchautor mit vielen Veröffentlichungen. Das schreibt Peter Wendling über sich selbst.

Und über Dan Kelly, den Vater der gleichnamigen Terrorkapelle, schreibt er: „Im selben Jahr, in dem Dan geboren wird, wird in Geschäften des Bundesstaates Massachusetts erstmals Tiefkühlkost verkauft. Das Zeitalter der Technik erreicht somit Dans Mittagstisch.“ Rrrums, zack, da war's. Vor gut 60 Jahren auf einem Hickoryholztisch in Massachusetts: „Tag Dan!“

Wenn wir dem Biographen Wendling Glauben schenken dürfen, hat die anhaltende Technologisierung auf seinem Küchentisch Vater Dan mehr mitgenommen als für ihn und für uns alle gut war. Sie brachte ihn nämlich dazu, sein bis dahin relativ unschändliches Leben aufzugeben, ein knappes Dutzend – hihi – „weißhaarige Humansurrogate“ (B. Schiffner) zu zeugen und mit ihnen swingend nach Europa überzusetzen. Vulgo: Die Technik bringt unglaubliche Not wie Elend über uns!

Aber es gibt ja noch eine ganz andere Seite der Technik, eine menschenfreundliche, zivilisaitonsschöpfende, prächtige. Da sitzt man etwa gemütlich zusammen mit einer Flasche Fernet Menta – Notwehr gegen Kelly und seinesgleichen – und bekommt das letzte Flaschendrittel nicht in das schmale Glas, weil die mittlerweile mikroskopisch klein gewordene Glasöffnung kaum noch zu treffen ist. Aber dann erinnert man sich einer innovativen Technik, ja Schanktechnik gar, die zu den einfachsten Übungen jedes trunkenen, irischen Barmannes gehört: Während der nämlich mit der rechten Hand die Flasche umfaßt, steckt er Daumen, Zeige- und Mittelfinger der Linken gestreckt in das schmale Glas. Dann schiebt der Mann hinter dem Tresen den Flaschenhals einfach zwischen Zeigefinger und Daumen und gießt, der Flascheninhalt rinnt sicher an seinen Fingern hinunter ins Ziel. Die Etikette wird gewahrt, der Durst Vergangenheit – und das Zechen kann endlich weitergehen. Vulgo: Auch diese Seite der Technik bringt unglaubliche Not wie Elend über uns.

Technik also – Fluch oder Segen der Menschheit? „Teils – teils“, meint resümierend der lange Herr Lenz. Womöglich hat er recht.

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