: Filme wie brennender Schnaps
■ "In Japan hat endlich der Hedonismus den Militarismus ersetzt" - ein Gespräch mit dem Filmemacher Nagisa Oshima
taz: Herr Oshima, für Sie als jemanden, der sich in seinen Filmen immer mit dem Verhältnis der Japaner zu ihrer Nation beschäftigt hat, müssen die Feiern zum 50. Jahrestag der Kapitulation ja sehr bewegend gewesen sein ...
Nagisa Oshima: Das war in der Tat beeindruckend. Am meisten verblüfft hat mich die Haltung vieler Linker, die sagten, die fünfzig Jahre seien umsonst gewesen, eine seltsam depressive Stimmung herrschte da. Da bin ich wirklich wütend geworden: Es ist doch von unschätzbarem Wert, was sich da in der japanischen Gesellschaft getan hat! Man könnte es als Wandel vom Militarismus zum Hedonismus beschreiben. Der Reichtum wird jetzt genossen statt ängstlich gehortet. Die Frauen führen ein anderes Leben. Jugend in Japan ist heute etwas völlig anderes als damals, etwas Freies, Offenes.
Apropos Jugend: Sie haben im Auftrag des British Film Institute einen Film zum Thema „100 Jahre japanisches Kino“ gedreht [andere Autoren der in arte ausgestrahlten Reihe waren Edgar Reitz, Jean-Luc Godard, Martin Scorsese, die Beiträge über ihre jeweiligen Heimatkinos gedreht haben, d. Red.].
In diesem Film kommt zum Ausdruck, daß Sie Ihren eigenen Beitrag zum japanischen Kino vor allem in Filmen über Jugendliche sahen. Warum war das so revolutionär?
„Grausame Geschichten der Jugend“ war das erste Mal, daß die Protagonisten nicht in irgendeiner Form als Opfer dargestellt wurden, was sonst im japanischen Nachkriegskino die Regel war. Diese Leute hatten sexuelle Beziehungen, die nicht pittoresk und dezent verschleiert wurden, sondern die von all den Irritationen und Brutalitäten gezeichnet waren, die man eben in jenen Jahren erlebt hatte.
In diesem Zusammenhang fand ich es verwunderlich, daß Kurosawa in Ihren „100 Jahren“ höchstens eine marginale Rolle spielte. Sie sollen mal gesagt haben, wenn Sie, Ozu und Kurosawa Köche wären, dann wäre Ozu der Mann fürs Tofu, Kurosawa der Meister des Beefsteaks und Sie selbst ein Hersteller von Sake, einem Schnaps, der einem den Hals verbrennt ...
(kichert) Nun, was Kurosawa betrifft: Einerseits war er für Filmemacher wie mich sehr wichtig, weil sein „Ich bereue meine Jugend nicht“ (1946) so eine Art Startsignal für uns alle war. Jugendliche zum Thema zu machen, das hieß doch, Protagonisten zu wählen, die keine Verantwortung in der Gesellschaft tragen, das war damals regelrecht unjapanisch – paßte aber in den Reedukationsprozeß, den die amerikanischen Besatzer dem japanischen Militarismus angedeihen lassen wollten. „Rashomon“ (1950) war der erste japanische Film, der im Ausland Aufmerksamkeit hervorrief.
Im Gegensatz zu mir hat Kurosawa immer Filme für das Kino gemacht, Filme für die Nation, Filme für das Volk; das war ein ganz anderes Selbstverständnis. Ich habe meine Filme immer nur für mich gedreht. Das hatte natürlich auch mit der Produktionsform zu tun: Die meisten Filmemacher drehten damals nur Auftragsarbeiten für große Studios, die ihnen Thema, Besetzung der Rollen und sogar das Drehbuch vorschrieben.
„Nacht und Nebel über Japan“ (1960) beschrieb die Auseinandersetzung innerhalb der verschiedenen Generationen der Linken, der Studentenbewegung einerseits und der traditionellen kommunistischen Partei andererseits, im Rahmen einer Hochzeitsgesellschaft. Politik und Ritual und die Mühen der Linken mit dem kulturellen Zwischenraum zwischen den beiden – ist das heute noch immer Ihr Thema?
Ach, wissen Sie, ich war damals ein Linker, aber mit einem gewaltigen Abstand zu dem, was die kommunistische Partei sich unter Kunst vorstellte. Heute gibt es keine Bewegung mehr, mit der man sich in dieser Form auseinandersetzen könnte.
Sie ahnen wahrscheinlich, daß Sie hierzulande noch immer vor allem als Regisseur von „Im Reich der Sinne“ (1976) bekannt sind. Japan-Reisende berichten immer wieder von ihrem Eindruck, die Pornographie sei selbstverständlicher Teil der Angestelltenkultur in Japan, mit Bordellen, die in der Mittagszeit besucht werden, mit dieser Serie von zum Teil sehr anspruchsvollen „Pink Films“, die es seit den 70er Jahren gibt, mit dieser Mischung von „ars erotica“ und Pornographie oder pornographischen Romanen, die es in Europa so nicht gibt. Würden Sie sagen, daß die Rezeption dieses Films in Japan eine andere ist als in Europa?
Wir haben da eine sehr widersprüchliche Tradition, da wird mit zweierlei Maß gemessen. Vor der Ankunft der Religion hatte Japan eine sehr freie kalligraphische Pornographie. Der Buddhismus und später der Konfuzianismus hatten ihre jeweils eigenen Methoden, den Körper verschieden Restriktionen der Disziplin und der Beschränkung zu unterwerfen. Schließlich hielt dann, nach der Restauration von 1868 auch das Christentum Einzug, und seit damals sind Darstellungen von Sex, in denen es um nichts anderes geht als Sex, sehr selten. Seither gibt es immer irgendeine Art von „Idee“, die mitillustriert werden muß. Deshalb heißt es auch „Im Reich der Sinne“, weil die Voraussetzung für diese Art von Sex der Rückzug aus der Gesellschaft ist – was ich versucht habe, filmisch durch die immer engere Reduktion des Bildrahmens auf die Körper darzustellen. Mein Film ist ein Beispiel dafür, wie die vorreligiöse Freiheit sich immer wieder neue Kanäle sucht.
In den Siebzigern haben Sie zusätzlich zum Spielfilm zwei völlig verschiedene Richtungen eingeschlagen: Einmal haben Sie die Ninja-Zeichnungen verfilmt, andererseits haben Sie angefangen, im Fernsehen Ratgebersendungen zu machen. Das eine scheint mehr vom Rand der Gesellschaft zu kommen, für das andere muß man doch in ihrem Zentrum stehen?
(lacht) Nun, die Ninja-Krieger, da hätte ich gern einen Spielfilm draus gemacht, aber dafür reichte das Geld nicht. Also habe ich es mit Eisenstein gehalten, der ja auch „Das Kapital“ verfilmen wollte, und einfach die Zeichnungen abgefilmt.
Was die Sendungen angeht: Ja, das mache ich seither. Frauen aus dem Volk kamen und kommen zu mir in die Sendung, und es ist sehr interessant zu beobachten, wie sich ihre Fragen ändern. Damals hieß es: Wie komme ich finanziell zurecht, wenn ich mich von meinem Mann scheiden lasse? Heute geht es mehr um eine Art von spiritueller Leere.
Das Gespräch führte
Mariam Niroumand
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