: Helmut Kohl braucht einen Infonet-Anschluß
■ BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel ist der Ansicht, daß das japanische Wirtschaftsmodell gerechter als das deutsche ist. Auf Deutschland möchte er es trotzdem nicht übertragen.
taz: Schon in den achtziger Jahren haben Sie, damals noch IBM- Chef, die deutsche Öffentlichkeit mit reißerischen Thesen von der japanischen Herausforderung erschreckt. Erweisen sich die Sorgen von damals nun als unbegründet?
Hans-Olaf Henkel: Das meiste davon hat sich bestätigt. Wir haben keine Chipindustrie mehr. Der japanische Weltmarktanteil an der Hochtechnologie ist heute sehr viel größer als der deutsche. Was ich damals nicht gesehen habe, ist das Comeback der USA. Deswegen aber darf ich Japan auch nach drei Jahren Nullwachstum nicht abschreiben, so wie es in weiten Teilen der Welt gemacht wird.
Die Angst, daß Japans Vorsprung in der Chipindustrie eine generelle technologische Überlegenheit begründen könnte, hat sich aber nicht bewahrheitet.
Das ist richtig. Angst aber hatte ich nie vor Japan, sondern vor allem Respekt.
Was machen die Japaner denn anders als die Deutschen? Verfügen sie überhaupt über ein eigenes Wirtschaftsmodell?
Es gibt sicherlich ein eigenes, spezifisches Wirtschaftsmodell Japans. Aber es ist nicht das Modell für alle. Was mir auffällt: Japan reagiert auf die Rezession, indem Löhne und Gehälter gesenkt werden. Gerade in den oberen und mittleren Gehaltsstufen wurde im letzten Jahr 30 Prozent weniger gezahlt als 1993. Das ermöglicht den japanischen Unternehmen, mehr Menschen zu halten. Wir in Deutschland sind nicht in der Lage, durch Absenkung der Löhne auf die Krise zu reagieren und stellen diese Menschen der Gemeinschaft als Arbeitslose auf den Hof.
Lohnverzicht ist in Deutschland kein Thema, weil höhere Manager nicht mit gutem Beispiel wie in Japan vorangehen.
Man darf nicht vergessen, daß auch in Deutschland mit zunehmender Stelle in der Hierarchie die erfolgsabhängige Komponente im Lohn größer ist. Wir begehen dabei aber kein öffentliches Harakiri, wie es in Japan dazugehört.
Ist das japanische Modell sozial gerechter?
Auch die Japaner sind mit ihrem System nicht zufrieden, weil es eine Menge versteckter Arbeitslose in den Betrieben verursacht. Nur sind diese Menschen eben nicht arbeitslos, haben etwas zu tun, und verbringen den Tag nicht vor der Glotze oder im Arbeitsamt. Insofern ist das japanische System dem unseren sozialpolitisch überlegen – jedenfalls wenn es durchgehalten werden kann, was allerdings auch Japaner bezweifeln.
Die Propheten der Globalisierung meinen, daß nicht nur die japanischen Beschäftigungsprinzipien veraltet sind, sondern auch das spezifische Wirtschaftsmodell, das in Japan auf einer starken Rolle des Staates und einer langfristigen Industriepolitik beruht. Halten auch Sie dieses Modell für gescheitert?
Es ist jedenfalls nicht so erfolgreich, wie wir immer dachten. Wenn Japan erfolgreich war, dann weniger aufgrund des berühmten Wirtschaftsministeriums Miti. Das Scheitern des Miti-Projekts einer fünften Computergeneration, vor dem wir vor zehn Jahren alle gezittert haben, läßt vermuten, das sich in Japan immer mehr neben und trotz Miti abspielt. Die Vorgaben des Ministeriums werden immer unwichtiger, immer mehr entscheiden die Unternehmen allein.
Verfügt nicht der japanische Beamtenapparat über eine technologische Kompetenz, die in Deutschland an vergleichbarer Stelle selten zu finden ist?
Diese Kompetenz ist in Japan da, und tatsächlich stellt das einen großen Schwachpunkt dar, den wir in Deutschland thematisieren sollten. Wer ein Bundesministerium besucht, dem begegnet ein Anno dazumal. Als ich kürzlich mit dem chinesischen Präsidenten Jiang Zemin zusammentraf, begleiteten den ein halbes Dutzend junger Beamter mit Laptop.
So tritt Bundeskanzler Kohl noch nicht in Erscheinung?
Das muß ja nicht sein, aber es wäre schon gut, wenn die Ministerien bei uns eigene Informationsnetze aufbauten. Bisher kann ich nur Forschungsminister Rüttgers per Infonet erreichen. In Japan verfügen heute schon die meisten Ministerien über eine eigene Multimedia-Abteilung.
Bleibt Japan also doch ein Beispiel dafür, daß es wirtschaftspolitisch auch anders geht?
Sowohl Japan als auch Deutschland haben sich in jüngster Zeit als weniger flexibel und reaktionsschnell als die USA erwiesen. In Japan gibt es eine ähnliche Standortdebatte wie in Deutschland über das Auswandern ganzer Industriezweige. Insofern stellt sich für beide gleichermaßen die große Frage: Können sich Konsensgesellschaften schnell genug ohne große soziale Brüche ändern?
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