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Die Japaner bleiben dabei: Trotz Krise und Rezession halten sie an ihrem Wirtschafsmodell fest. Manager verzichten auf einen Teil des Einkommens und erhalten so Arbeitsplätze in ihren Unternehmen. Ob dies auch ein Modell für Deutschland sein könnte, damit beschäftigte sich BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel bei seinem Besuch auf der Insel. Aus Tokio Georg Blume

Gegen den Rest der Welt

Je länger die japanische Wirtschaftskrise währt, desto mehr gerät das einst als technologisches Wunderland gefeierte Inselreich bei uns in Vergessenheit. In den Medien machen allenfalls Negativschlagzeilen aus Nippon die Runde: vom Erdbeben in Kobe bis zu den jüngsten Bank-Kollapsen. All dies wirkt sich inzwischen auch auf die Zahl deutscher Besucher in Tokio aus: Außer den altgedienten Japanfreunden Helmut Schmidt und Otto Graf Lambsdorff reist kaum ein deutscher Politiker mehr ins Reich der aufgehenden Sonne. Aber auch deutsche Unternehmer bleiben Japan fern. Insofern brachte der bis gestern dauernde Tokio-Besuch von BDI-Chef Hans-Olaf Henkel für die deutschen Diplomaten in Japan eine seltene Abwechslung.

Noch vor Jahren war die Situation eine ganz andere: Als eine Spiegel-Serie den Japanern zutraute, „gegen den Rest der Welt“ anzutreten, pilgerten alsbald auch Gewerkschaftler und SPD-Politiker nach Tokio. Rechte und Linke interessierten sich gleichermaßen für ein Land, das allen Seiten Erfolg versprach: Denn in Japan existierten florierende Privatunternehmen – die wie Toyota und Sony in ihren Branchen weltweit neue Maßstäbe setzten – gleich neben einem mächtigen Staatsapparat, der die langfristigen Wirtschaftsziele bestimmte. Aus Japan kam daher das Stichwort „Industriepolitik“, das in der wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland bis heute eine Rolle spielt.

Drei Jahre Rezession in Japan gingen an dieser Debatte dann nicht ohne Einfluß vorbei. Mit dem japanischen Erfolgsmythos verschwand rasch das deutsche Interesse an einer tiefergehenden Diskussion des japanischen Modells. Zumal sich manche Hiobsbotschaft, wie die vom Monopol der japanischen Chipindustrie, als falsch erwies.

BDI-Chef Henkel erscheint deshalb als einsamer Rufer, wenn er vor der Unterschätzung Japans als einem „fatalen Fehler“ warnt. Ziel seiner Gespräche mit Unternehmern, Politikern und Beamten in Tokio war es, ein Japan-Konzept zu erarbeiten, mit dem der Asien-Pazifik-Ausschuß der deutschen Wirtschaft (APA) das Engagement deutscher Unternehmen in Japan fördern will. Bezeichnenderweise hat sich der APA in den zwei Jahren seit seiner Gründung nicht mit Japan befaßt.

Das ist um so verwunderlicher, als sich die Bedrängnis der deutschen Industrie durch die japanische Konkurrenz deutlicher denn je zeigt: Auf 18 Prozent ist der japanische Weltmarktanteil an Hochtechnologieprodukten gestiegen, der deutsche sank derweil auf 14 Prozent. Nicht einmal die Weltmarktführung in der Umweltschutztechnik scheint den Deutschen auf Dauer mehr sicher: Der japanische Weltmarktanteil stieg hier in den letzten Jahren steil an und liegt derzeit bei 20 Prozent, während der deutsche Anteil noch 28 Prozent beträgt.

Fast scheint es, als entwickelten die Japaner überall dort starke Industrien, wo vor ihnen die Deutschen übermächtig waren. So verdrängten sie erst den einst führenden deutschen Schiffbau, später die deutsche Unterhaltungselektronik. Wird es demnächst die Umweltschutztechnik sein?

Doch selbst wer die Konkurrenz aus Japan beachtet, interessiert sich heute kaum für das Wirtschaftsmodell dieses Landes. Mit Einsetzen der japanischen Rezession verbreitete sich im Westen schnell die Ansicht, daß Japan langfristig nicht anders könne, als sich dem liberalen westlichen Modell anzupassen. Dafür spricht nicht nur, daß Deregulierung und Privatisierung heute auch in Japan auf der Tagesordnung stehen. Ebenso unabwendbar erscheint der soziale Wandel in Japan, der mit einer Individualisierung der Lebensentwürfe einhergeht.

An dieser Stelle hört die deutsche Japan-Diskussion dann meistens auf. Doch reicht das? Trotz aller Gleichmacherei im Zuge der Globalisierung behauptet Japan seine Differenz zum Westen: Beispiel Arbeitslosigkeit. Eine umfassende Arbeitslosenversicherung kennen die Japaner nicht, doch ihre Arbeitslosenquote liegt selbst bei der Rekordhöhe von 3,2 Prozent noch wesentlich niedriger als bei uns. Der Grund: Die staatliche Bürokratie zwingt die großen Unternehmen, auf Massenentlassungen zu verzichten. Ist dieses System gerechter als der deutsche Sozialstaat? Henkel antwortet darauf mit ja (siehe Interview).

Beispiel Rentensystem: Die Karriere endet in Japan meist schon mit 50, schlechtbezahlte Jobs ermöglichen vielen Japanern dann die Arbeit bis ins hohe Alter. Verläuft der Lebensabend damit würdevoller als im deutschen Altersheim?

Wer so weit mitdenkt, meint dann leicht, in Japan sei alles ganz anders und die Dinge unvergleichbar. Stimmt. Doch gerade in einer so festgefahrenen Debatte, wie der um eine moderne Wirtschaftspolitik für Deutschland, liefert Japan immer noch tausend Anregungen, wie alles auch ganz anders geht. Henkel ist das in den letzten Tagen nicht entgangen: „Man muß in Japan sein, um zu wissen, was auf der Welt los ist.“

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