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Geordnete Engelsknochen auf englischem Rasen

■ Plastiken von David Neat in Osterwalders Art Office in der Isestraße

Der Herbst ist die Zeit der Ernte und des Einsammelns. Besondere Fundstücke gibt es jetzt in Osterwalder's Art Office: Säcke voller „Engelsknochen“. Diese selten gefundenen himmlischen Fossilien gehören zur kreativen Formwelt des in Hamburg lebenden Engländers David Neat. Aus einer Vielzahl sorgfältig gebauter Elemente setzt der Künstler seine Skulpturen zusammen. Zwischen individueller Erfindung und industrieller Perfektion entstehen so ausgesprochen sinnliche Arbeiten.

Eine gewisse Nähe zur surrealistischen Plastik ist dem Künstler selbst durchaus klar: Mit den dreifachen Pelzkörpern Still Sneezing erweist er seine Hommage an den Vater der Moderne, Marcel Duchamp. Doch es geht nicht nur um die Möglichkeit, Gedanken an absurden Kleinplastiken festzumachen, sondern auch um den Zusammenhang. Ein einzelner „Engelsknochen“ ist zwar ein schönes Objekt, aber zur Idee des Werks gehören genauso die ordnende Sammlung und das rekonstruierende Spiel. Wie bei einem Baukasten gibt es in Zahl und Form implizite Regeln und sogar ein Spielfeld aus Kunstrasen. Engelsknochen dürfen schließlich nicht wie weltliche Knochen auf oder unter echtem Rasen liegen, Engelsknochen brauchen die Kunst.

David Neat betreibt eine Kunst, in der er Dinge in Beziehung zueinander setzt. Zwei an der Wand hängende wesenhafte Formen aus Gips, Pelz und Schlauch bieten ihre Tentakel zur Begrüßung. Sie wollen nicht nur betrachtet werden wie Wesen aus fernen Welten im intergalaktischen Zoo. Sie bieten sich an zum Anfassen und versprechen so ein geradezu erotisches Verhältnis. Das Kunstwerk zieht den Betrachter in seine intime Kunst-Welt, eine eigenartige Welt, irgendwo zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Formen, die so nur unter dem Mikroskop gesehen werden, verbinden sich mit ins Planetarische gehenden Vorstellungen. Es könnten auch Modelle der Gentechnik oder gar zukünftiger Verbindungen biologischer und mechanischer Formen sein, wie sie Science-fiction-Filme zeigen. Doch anders als bei Zeichnung und Zelluloid sind hier die nicht existenten Formen in die Welt gekommen: real, attraktiv und handschmeichlerisch.

David Neats Arbeiten lassen sich mit ihrer Tendenz, industrielle oder industriell anmutende Billigprodukte mit persönlicher Mythologie aufzuladen, in den besonderen Weg zeitgenössischer englischer Plastik von Tony Cragg bis Richard Deacon einordnen. Vielleicht geht die Suche danach, wie die Objekte „hinter dem Spiegel“ wirklich aussehen, jenen besonders nah, zu deren jugendlicher Pflichtlektüre Alice im Wunderland gehört.

Hajo Schiff

„Uniples and Multikates“, Osterwalder's Art Office, Isestr.37, Do-Fr 14-18 und Sa 12-15 Uhr, bis 21.Oktober.

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