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Mysterienspiel um Macht

■ La Fura dels Baus spalten und foppen das Publikum auf Kampnagel

Mehr als einhundertzwanzig verschiedene Übersetzungen bietet die katalanische Gruppe La Fura Dels Baus für das Kürzel „M.T.M.“, den Titel des Totaltheaterstücks, das am Mittwoch auf Kampnagel seine Hamburger Premiere hatte. Am zutreffendsten von allen ist wohl „Magnum Teatrum Mundi“, das „große Welttheater“.

Mitten in eine feierabendliche Disco-Atmosphäre platzen Suchtrupps und greifen sich aus dem vernebelten Raum einzelne Personen, entkleiden sie völlig und schleppen sie fort auf die Rundumbühne aus Pappkartons. Diese beängstigenden Vergewaltigungen werden auf eine riesige Videoleinwand übertragen und mit dem Wörtchen „Zufall“ kommentiert. Doch bald wird klar: Das können nur Mitglieder der Truppe sein. „Rolle“, gibt der Leinwandtext auch gleich darauf zu.

Die wilde Provokation dieser furiosen Theatergruppe funktioniert am Besten am Anfang, wenn man noch nicht durchschaut, wie perfekt choreographiert die anscheinend chaotischen Aktionen sind. In wirbelnden Aktionen durch den ganzen Raum und immer inmitten des hin- und hergescheuchten Publikums kreisen sie um das Thema der Manipulation von Kommunikation. Kolossale Pyramiden werden erreichtet, deren phallische Symbolik sich mit den Funkantennen der Videokameras deckt. Alle entworfenen Welten einer diktatorischen Männerherrschaft scheitern blutig. Was real ist, wird immer wieder vertuscht. Das Publikum, durch eine hohe Mauer in zwei Hälften vollständig getrennt, bekommt per Video von der Mauerkrone gezeigt, was auf der anderen Seite sich Tolles ereignet. Doch der dringende Verdacht liegt nahe, daß in Wirklichkeit dort drüben überhaupt nichts stattfindet, die Bilder auf der Leinwand wohl doch aus der Konserve kommen: ein überaus intensives Bild für die „falschen Realitäten“ auch in diesem Land vor nicht viel mehr als sechs Jahren.

Im Epilog nach über einer Stunde entspannt sich die Stimmung und zu leichter, klassischer Musik wird gelacht und gestreichelt. Doch kurz bevor es zum erlösenden Händedruck kommt, zerbrechen harte TV-Sequenzen den sich anbahnenden, falschen Frieden mit optischem und akustischem Horror bis zum Schlußzitat: „Hört auf, ich ersticke ja schon in der Scheiße!“.

Sinnlich und brutal bis zum Spiel mit dem Ekel ist dieses Welttheater, dessen Didaktik eine zeitgenössische Form spätmittelalterlicher Mysterienspiele und barocken Jesuitentheaters darstellt. Großbildleinwand und Funkvideokameras, Discosound und Lichtorgien lassen keinen Augenblick vergessen, wie katholisch der Hintergrund dieses Spektakels ist.

Der müde Beifall am Ende kann auf die Erschöpfung gegenüber soviel Lautstärke, Aktion und andauernder Wahrnehmungsanstrengung zurückgeführt werden. Aber es bleibt auch jene unbefriedigende Stimmung, in die einen die furiose Demontage aller Reste von Gewißheit entläßt. Denn gleich nach dem Ende der Show geht das Licht wieder aus, und erneut gibt sich der Spielort unschuldig discomäßig beleuchtet und beschallt wie am Beginn der Vorführung: Die Gewalt in all ihren historischen und gegenwärtigen Spielarten kann jederzeit wieder ausbrechen.

Hajo Schiff

Weitere Aufführungen: K6 auf Kampnagel, tägl. 21 Uhr, bis 8.10.

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