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Palermo sieht besser nicht hin

Die Unsicherheit der Palermitaner gegenüber dem Andreotti-Prozeß gilt auch für Mafiosi: Sie wissen nicht genau, was ihre Bosse davon halten  ■ Aus Palermo Werner Raith

Seinen Kurznamen hat Masino, Sohn eines anderen Masino und Enkel eines weiteren Masino, seit jeher so getragen, wie man ihn eben trägt, wenn man auf Sizilien Tommaso heißt, so wie Salvatore zu Toto wird oder zu Turriddu: die Sprache hat ihre eigenen Gesetze.

Doch seit einiger Zeit ist Masino über seinen Namen ganz und gar unglücklich und will lieber ein hochformales „Tommaso“ oder „Tommasuccio“ hören: Zu sehr belastet scheint ihm der Name, seit jener berühmte Don Masino allenthalben genannt wird: Tommaso Buscetta, erster und ergiebigster Aussteiger der sizilianischen Cosa Nostra, in seinen aktiven Zeiten auch „Boss der beiden Welten“ genannt, weil er neben Sizilien auch Südamerika „betreute“.

Derzeit hat „Don Masino“ wieder Hochkonjunktur: „Schau dir nur diese Visage an“, dräut Tommasuccio und reißt die Zeitung so gekonnt an der richtigen Seite auf, als würde er für ein einschlägiges Kunststück im Varieté üben: „Ein Verbrecher, nicht wahr, ein Desperado, ein Verräter.“ Tatsächlich grinst Buscetta aus allen Journalen: Schließlich ist er einer der Hauptbelastungszeugen gegen „Andreotti Giulio, Senator der italienischen Republik auf Lebenszeit, wohnhaft in Rom“, wie die – in vielen Zeitungen faksimilierte – erste Seite der Anklageschrift respektvoll beginnt.

Tommasuccio, 28, arbeitet im Ausstattungsgeschäft seines Onkels in Palermos Via Lincoln, die vom Bahnhof hinunter führt zum Meer: Kleider, Unterwäsche, Geschenke aller Art und „Liste di nozze“, Aussteuer für Hochzeiten und Präsente für andere feierliche Gelegenheiten. „In Palermo und überhaupt auf der Insel sind das die größten Gelegenheiten zum Geldausgeben“, sagt er, „da verdient man schon was.“

Polizei und Staatsanwälte meinten allerdings vor einiger Zeit, daß man soviel auch wieder nicht verdienen könne, und so konfiszierten sie seinem Onkel und seiner Familie vier Autos, davon zwei BMW, fünf Appartements und eine Villa im Luxusbadeort Mondello sowie Spar- und laufende Konten in Höhe von umgerechnet zwei Millionen Mark. „Und das alles wegen diesem Masino“, schimpft Tommasuccio. Er läßt das für Mafiosi übliche „Don“ bewußt weg: „Dieses Schwein, dieser Hurenbock, dieser Lügner.“

Tommaso Buscetta hatte, noch zu Lebzeiten des legendären Mafiajägers Giovanni Falcone, auch den Clan genannt, in dem Tommasuccios Onkel mit von der Partie war – „Unfug, das war nur ein einfacher Verein, in dem man Boccia gespielt hat und halt so unter Verwandten beisammensaß, das war schon zu Zeiten meines Vaters so, und auch mein Großvater war in dem Verein.“ Genau das hat auch die Staatsanwaltschaft festgestellt: Ausweislich der Anklageschrift, die Tommasino in seiner Küchenschublade aufbewahrt, ist der harmlose Boccia-Verein allerdings „der Kern einer Vereinigung mafiosen Typs“. Darauf stehen „schon bei einfacher Mitgliedschaft sechs Jahre“, barmt Tommaso, der sich umfassend informiert hat, „und wenn sie bewaffnet ist, fünfzehn“. Und bewaffnet, was heißt das schon: „Jeder von uns geht doch auf die Jagd, da läßt sich leicht ,bewaffnet‘ hineinlügen.“

Tommasos Prozeß steht für nächstes oder übernächstes Jahr an, und der derzeitige Andreotti- Prozeß könnte da Signale setzen: „Bricht das lächerliche Lügengebäude von Buscetta und seinen Kumpanen zusammen, ist das gut für mich, denn auch für meinen Boccia-Club stützt sich alles auf Aussagen irgendwelcher Verräter.“ Er bemerkt den Lapsus und verbessert sich: „Pentiti, Aussteiger, Leute, die nichts wissen und sich nur wichtig machen wollen.“

Tommasuccios Frau Giampiera hält den Letztgeborenen der vier Kinder gerade auf dem Topf ab, er hat Verdauungsbeschwerden, „kein Wunder mit all der Aufregung“. Doch sie sieht die Sache mit Andreotti nicht gar so schlicht wie ihr Mann: „Man weiß ja wirklich nicht, ob man sich seinen Freispruch wünschen darf, ich meine, soll.“ Tommasuccio scheucht sie aus der Küche: „Weiber“, sagt er, „haben keine Ahnung, müssen aber immer babbeln.“ Als sie raus ist, fügt er jedoch hinzu: „So ganz unrecht hat sie aber auch nicht. Bedeutet ja schon was, wenn es den Bullen gelingt, so einen wie Andreotti vor Gericht zu ziehen.“

Er kippt die „Napolitana“ auf den Kopf, die Kaffeemaschine, bei der das Wasser unten zum Kochen gebracht wird und dann durch Drehen von oben durch das Kaffeepulver tröpfelt: „Dem müssen seine Protektoren einfach langsam entschwunden sein, so wie das Überlaufwasser aus der Kanne“, er deutet auf das kleine Rinnsal aus dem oberen Gefäß. „Und irgendwann war's dann für ihn zu Ende. Chissa, wer weiß.“

Das Problem beschäftigt ihn sehr – wie alle Palermitaner. Kaum ein Zuschauer aus der Stadt hat sich zum Prozeß eingefunden, man weiß ja nie. Daß die großen Capimafia Andreotti so total haben fallenlassen, ja vor drei Jahren mit der Ermordung seines parteiinternen Statthalters Salvo Lima selbst seinen Sturz eingeleitet hatten, kann nach den Grübeleien Tommasos „durchaus bedeuten, daß denen ein Schuldspruch nichts ausmacht oder daß sie das sogar wollen“: die Justiz sozusagen als Instrument ihres Ärgers über einen Politiker, den sie jahrzehntelang unterstützt hatten und der sich am Ende gerade dann als unnütz erwies, als er die obersten Bosse vor dem Knast bewahren sollte.

Wie aber, wenn die Mafiosi das alles nur als Drohgebärde verstanden wissen wollen, Marke: Wenn wir wollen, können wir jeden vernichten, aber jetzt zeigen wir, daß wir ihn auch raushauen können? Dann müßte jetzt Solidarität mit Andreotti gezeigt werden, grübelt Tommasuccio. „Als Andreotti ankam in Palermo, da haben einige von uns Grüße auf die Straße gepinselt“, sagt er, aber das hat er sich auch wieder nicht getraut: Wie gesagt, man weiß ja nie.

Außerdem: „Da steht ja sowieso schon hinter jedem Alleebaum ein Bulle und fotografiert jeden, der nur etwas langsamer mit seinem Auto fährt.“ Übertünchkommandos waren so schnell, daß „selbst die Fotofritzen nicht zum Ablichten kamen“, und schließlich ist Tommasuccio bis zum Prozeß sozusagen nur „auf Bewährung“ aus der Untersuchungshaft gelassen worden, die geringste Verfehlung, und er sitzt wieder.

Also zieht er mehr oder weniger den Kopf ein. Vom Monte Pellegrino, wo Palermo das herrlichste Panorama der Insel bietet und wo er sich offenbar etwas freier fühlt, zeigt er hinunter: „Dort, in der oberen Senke, dieses Riesengebäude: da im dritten Stock hatte Salvo Lima sein Büro. Mein Gott, standen die Leute da an, um ihm Bitten zu überreichen, oft direkt an Andreotti gerichtet.“ Doch seit Lima tot ist, gibt es dort „kein Leben mehr“, und wer sich aus Rom noch Protektion erhofft, muß nun andere Wege gehen – laut Tommaso etwa „über Catania, da soll jetzt über Rechtsparteien der eine oder andere Kanal bestehen“ – ausprobiert hat er's freilich noch nicht, und die Rechten sind ja auch nicht mehr so ganz am Ruder.

Jedenfalls ist ihm die Lage ganz und gar nicht geheuer. Domenico, genannt Mimmo, ein Vetter zweiten Grades, der mit auf den Berg gekommen ist, überlegt am Nachmittag, ob man wohl in der Bar am Corso dei mille eine Partie Billard spielen sollte – als Antwort hört er nur Gebrummel: „Meinst du, das ist jetzt wirklich angebracht? Sollten wir? Oder könnte das...“ Tommasuccio beendet den Satz nicht. Jeder hier weiß: Das ist die Bar der Marchese, einer in den 80er Jahren wichtigsten Cosa-Nostra-Familien. Niemand hingegen vermag derzeit einzuschätzen, wie hoch oben sie noch in der Hierarchie steht.

Informationszentrum ist ihre Espressobar immer noch, und man zeigt dort, man steht zu den Clans oder eben nicht. „Wenn man sich da mal eine Woche nicht sehen läßt, braucht man schon eine gute Ausrede“, sagt Tommasuccio. Dennoch: Jetzt gleich zu Prozeßbeginn gegen Andreotti hinzugehen ist noch zu früh, „man weiß ja gar nicht, was man sagen soll, und doch will's jeder von einem hören“.

So beschließen die beiden statt dessen noch einen Bummel durch die Via Roma – in der unausgesprochenen Absicht, doch noch etwas von der Andreotti-Atmosphäre zu schnuppern: dort liegt unter Nummer 398 das Hotel Le Palme, das sich vornehm Grand Hotel et des Palmes nennt und in dem der Senator Quartier bezogen hat. „Ist dir klar, was das bedeutet?“ fragt Mimmo, mehr zu sich selbst, in einem Ton, der zeigt, daß er da überhaupt keine Antwort hat. Palermo, nicht nur das des Tommasuccio und Mimmos, glaubt natürlich keine Sekunde, daß Andreotti aus Sicherheitsgründen das vorher angegebene Villa Igea etwas außerhalb Palermos gegen das Palmenhotel gewechselt hat: In der Stadt, wo schon ein Huster Signalwirkung hat, ist die Wahl des Hotels Gegenstand unendlicher Analysen.

In der sizilianischen Hauptstadt weiß jedes Kind: Hier im seinerzeit nobelsten Hotel fand in den 50er Jahren eine zur Legende gewordene Versammlung amerikanischer und sizilianischer Mafiosi statt, und dort wurde ein bis dahin fast unbekannter Bankmensch namens Michele Sindona zum Investitionsexperten der Clans bestellt – ein Jahrzehnt danach hatte er Europas größtes privates Bankenimperium zusammengeschoben und war Chefberater des Papstes geworden. Genau diesen im Palmenhotel gekürten Mafia-Bankier soll Andreotti nach allerjüngsten Erkenntnissen heimlich noch in der Zeit getroffen haben, als der Mann längst wegen betrügerischen Bankrotts steckbrieflich gesucht wurde und auch in dem Verdacht der Anstiftung zum Mord an seinem Konkursverwalter stand. „Natürlich will er an diese Connection erinnern“, sinniert Mimmo weiter, „aber in welcher Hinsicht? Will er andeuten, daß er, wenn ihm jetzt keiner hilft, über die Verbindungen zwischen Kirche und Mafia auspacken will? Oder will er sagen: Seid beruhigt, ich könnte, aber ich werde nicht?“

Aber ob Andreotti mit solchen Botschaften überhaupt noch jemanden beeindrucken kann? Die Mafiabosse vielleicht nicht. Aber Tommasuccio und Mimmo, und den Großteil der Palermitaner, hat Giulio Andreotti ein weiteres Mal total verwirrt.

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