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Massentötung bezeugt

■ Nach dem Fall von Srebrenica 3.000 bosnische Muslime erschossen

Tuzla (AP) – Seit die Karadžić- Serben im Juli die UNO-Schutzzone Srebrenica eroberten, gelten nach Auskunft des Internationalen Roten Kreuzes 8.000 der einst 42.000 EinwohnerInnen als verschollen. 3.000 Männer seien verschleppt worden. Diese sind nach Aussagen von drei überlebenden Opfer eines Massakers geworden.

Der heute in Tuzla lebende Maurer Hurem Suljić schildert, wie er damals in Srebrenica wie viele andere Zuflucht im niederländischen Blauhelmstützpunkt suchte. Die Karadžić-Serben hätten den Stützpunkt besetzt und vor den Augen der UN-Soldaten mehrere hundert Männer in eine Lagerhalle abtransportiert. Am nächsten Tag habe der Befehlshaber General Ratko Mladić die Halle besucht und den dort Eingesperrten mitgeteilt, sie würden gegen serbische Kriegsgefangene ausgetauscht. Statt zur Front seien sie jedoch in eine Sporthalle in Krizevci rund 35 Kilometer nördlich von Srebrenica geschafft worden.

In der folgenden Nacht habe ein Bus nach dem anderen weitere gefangene Muslime gebracht, so daß in der Halle drangvolle Enge herrschte, Menschen übereinander lagen, und viele nur stehen konnten, berichtet Suljić. Einige Tage später sei Mladić wiederaufgetaucht und habe die Eingepferchten, deren Zahl etwa 3.000 betrug, mit „Hallo Nachbarn“ begrüßt. Schließlich sei der angebliche Gefangenenaustausch in Gang gekommen. Der 54jährige Suljić und sein 25jähriger Leidensgefährte Mevludin Orić schildern, wie sie in Kleinlastwagen verfrachtet und zu einem Hügel gefahren wurden. „Der Lastwagen machte eine Linkswendung und hielt im Gras. Vor uns sahen wir ein mit Leichen bedecktes Feld.“ Zwei Erschießungskommandos mit automatischen Waffen standen ihnen gegenüber.

Suljić und Orić ließen sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen und entgingen so den tödlichen Schüssen. Unablässig hätten Lastwagen neue Gefangene herbeigeschafft, die Gruppe um Gruppe von den Serben erschossen wurden. Wer noch Lebenszeichen zeigte, sei mit Pistolen getötet worden, während Räumgeräte eine große Grube aushoben. Als es dunkelte, hätten die Karadžić-Serben ihre Mordtaten im Scheinwerferlicht der Räumgeräte fortgesetzt. Zwischendurch sei General Mladić aufgetaucht. „Er schaute sich um und ging rasch wieder“, sagte Suljić aus.

Als die Karadžić-Serben sich zurückzogen, stand der Bosniake auf einem vom Mond beleuchteten „Leichenfeld“. Auf seine Rufe, ob es weitere Überlebende gebe, meldete sich der etwa 20 Meter entfernt liegende Orić. Beide flohen in die Wälder und stießen am Morgen auf den dritten Überlebenden namens Smail Hodzić. Gemeinsam schlugen sie sich zu den bosnischen Regierungstruppen durch.

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