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Ramsch und Art déco

Trödelbummel durch Westberlin: Zwischen Kreuz- und Schöneberg gibt es alles vom Porzellanflamingo bis zum futuristischen Silbertoaster  ■ Von Zonya Dengi

Zuerst sind da immer ein paar Wühlkörbe voll mit Schüsseln, Kannen, Büchern und Schallplatten vor den Läden, die ins Reich des Trödels einladen. Manchmal, so wie in Onkel Abou-Dabous „Trödelzentrale“ in der Bergmannstraße, führt eine kleine Treppe hinunter in die Gerümpelhöhle, in der sich gerade mal zwei Personen bewegen können. Die kleinen Räume sind vollgestellt mit Vitrinen, die zartgeschliffene Sherry- und Weingläser ausstellen, von der Decke hängen alte Lampen und Leuchter, baumeln alte Kameras, und auf dem Boden türmt sich Haushaltsallerlei: angefangen von Napfkuchenformen aus Ton bis hin zu angelaufenem Silberbesteck. Mit viel Zeit und Geduld kann so manche wertvolle Vase oder ein rosaroter Porzellanflamingo in Schäferhundgröße entdeckt und im Feilschgeplauder mit Onkel Abou-Dabou erstanden werden. Von dem für die Bergmannstraße typischen Staub und Unordnung der Trödelläden sollte sich niemand abschrecken lassen, denn allzuoft findet sich darunter eine „Wunderlampe“. Die Gegenstände, die aus Wohnungsauflösungen oder Entrümpelungen stammen, werden oft nur ausgepackt und an einen Platz gestellt, der sich eben mal findet. Zwölf Jahre ist der gebürtige Palästinenser Onkel Abou-Dabou im Trödelgeschäft. Wie die meisten lebte er jahrelang vom Verkauf auf den Trödelmärkten. Aber seitdem er einen Laden besitzt und hier sechs Tage die Woche arbeitet, vermißt man den von seinem Lastwagen herunter verkaufenden Onkel.

Obwohl teurer als auf Flohmärkten, „wirft der Krimskrams nicht viel ab“, deshalb hat er, wie andere Kollegen auch, gleich nebenan Größeres zu recyclen: Klaviere, Kleiderschränke, Kommoden, barocke Bilderrahmen, die Heimatidyllen verzieren. Nostalgische Möbelnarren kommen hier voll auf ihre Kosten: Altes bis zu den Zwanziger Jahren und darüber hinaus wird hier angeboten. Bei Onkel Abou-Dabous türkischem Kollegen in der Bergmannstraße 96, der zu den wenigen gehört, die zufrieden sind mit dem, was der Laden einbringt, steht sogar eine Kiste von 1795. Deshalb meint Caspar Weiß, der ein paar Läden von der Trödelzentrale im „Trödel 110“ für seinen Freund aushilft, daß „es keine Trödelläden wie früher gibt“. Denn das Trödelgeschäft ist eine „professionelle Angelegenheit“ geworden. Neben Wohnungsauflösungen wird auch über Zeitungsannoncen gesucht.

Was „antik“ ist und was „Trödel“, darüber scheiden sich die Geister: Manche meinen, alles was über 80 und 100 Jahre alt sei, gehöre „antik“ genannt zu werden, andere wiederum erklären „antikes“ ab der Biedermeierzeit für beendet. Aber wie dem auch sei. Trödel ist keineswegs ein abwertender Begriff für die HändlerInnen. In der Flughafenstraße in Neukölln haben alle Schaufenster neben der Aufschrift „Antik“ auch „Trödel“ stehen. Auch die Händler hier sind hartgesottene Trödler, vertraut mit ihrer Ware. Darum heißt es hier etwas tiefer in die Tasche greifen für die KäuferInnen.

Hier, wo dicht an dicht Trödelläden stehen und die Devise „Konkurrenz belebt das Geschäft“ heißt, wird nicht nur angekauft, verkauft, getauscht, sondern auch verliehen und vermietet. Die „Fantasia-Kulisse“ beispielsweise stellte sechzig Prozent der Requisiten des Musicals „Blauer Engel“ mit Ute Lemper zur Verfügung. Ungewöhnlich sind die von den Decken hängenden Geigen und Lauten und die unmittelbar darunter stehenden polierten Bässe und großen Boxen inmitten von zerbrechlichem Vitrinengut und Porzellanfiguren für den Kaminsims. Aber auch die vor dem Laden aufgestellten Blechwerbeplakate mit dem Getränk „Cinzano“ oder mit einer graziös verschlafenen Marilyn Monroe.

Manche HändlerInnen „trödeln“ aus reiner Profitgeilheit, während andere ihre Leidenschaft zu befriedigen suchen. Afagh Knuht aus der Goltzstraße kauft alles, was ihr eigenes Herz begehrt: Stoffservietten, Operntäschchen, schwarze Abendkleider und bestickte Blüschchen, Schuhe, Zylinder aber auch Schränke und Sofas. Die gebürtige Iranerin sucht für ihren Edeltrödel alles nach ästhetischen Maßstäben aus. Ihr Sortiment hat sie nicht wie sonst üblich aus Wohnungsauflösungen, sondern durch ihre Informanten in Berlin und Umland zusammengestellt. Etwas teurer als in der Bergmannstraße ist es hier zwar. Aber dafür alles in einem tadellosen Zustand. Auf der gutbürgerlichen Goltzstraße lichtet sich die Trödellandschaft immer mehr, die hohen Mieten verdrängen den Trödel, die HändlerInnen brauchen eine weitere Einkommensquelle. Vielleicht ist der „Firlefanz“ gleich um die Ecke in der Eisenacher Straße deshalb nur halbtags geöffnet. Von Art déco bis zu den Fifties ist hier alles zu finden: Kleidung, Taschen, Aschenbecher. Auch hier die Preise dem Bezirk entsprechend: zwischen 150 und 350 Mark die vertrauten futuristischen Silbertoaster aus den Hollywoodfilmen.

Und wer immer noch nichts gefunden hat, dem sei ein Bummel durch die Urbanstraße empfohlen. In einem der vielen Geschäfte findet sich ganz sicher das so begehrte Stück. Eine große Auswahl an Möbeln wie auch an Tonkrügen, alten Bibeln, gepflegtem Jahrhundertwendegeschirr findet sich in der Urbanstraße 32 mit netter fachfraulicher Beratung. Aber auch hier hört man die Klagen: Zu hohe Mieten und die pfennigdrehenden BerlinerInnen bedrohen das Trödelgeschäft.

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