: So und so fühlen
■ "Ein klein wenig ... Verehrung" - Großer Andrang bei der Uraufführung von Eugen Drewermanns Giordano-Bruno-Drama in Anwesenheit des Autors
Monatelang prangte in Berliner U-Bahnhöfen ein Plakat, auf dem in dicken Lettern stand: „An Euren Gott wird niemand mehr glauben.“ Der solches prophezeit, ist Eugen Drewermann, und, so gab das Plakat zu verstehen, er tut dies in Form seines ersten Theaterstücks. Und siehe, es wirkte. Angelockt durch den Namen des katholischen Theologen, dem seine Theorien Lehr- und Predigtverbot beschert haben, strömten die Massen zur Uraufführung in den großen Saal der Berliner Urania. In der Urania, wo sonst instruktive Filme gezeigt und Vorträge gehalten werden, tauchte zwischen Diavorträgen wie „Farbenfrohes Rajastan“ oder „Erkrankungen der Schilddrüse“ auch der Name des Referenten Drewermann schon des öfteren auf. Deshalb sollte das Drewermannsche Drama auch hier seine Premiere erleben.
Hauptsache er kommt und spricht zu uns
Genaugenommen ist das angekündigte Stück gar nicht von ihm. Er hat zwar den Roman über Giordano Bruno geschrieben, dramatisiert aber hat den Text Georg A. Weth, ein Regisseur der Deutschen Kammerschauspiele zu Emmendingen. Die sind noch nicht so berühmt wie Drewermann und stehen daher etwas kleiner auf dem Plakat.
Egal, dachten viele, Hauptsache er kommt und spricht zu uns. Und so geschah es. Zunächst jedoch das Emmendingener Ensemble. Neben einem riesigen umgedrehten Kreuz standen ein Tischchen und ein Bett, die wie die abstrahierte Krankenhausmöblierung eines Architekturmodells wirkten und einzig die Funktion hatten, den Ort der Handlung zu skizzieren: die Gefängniszelle des Dominikanermönchs Giordano Bruno, der kurz vor seinem Tod auf dem Scheiterhaufen über sein Leben sinniert.
Nun ist es nicht einfach, ein 52 Jahre langes Leben und knapp 400 Romanseiten auf siebzig Minuten zusammenzustauchen. Bernd- Holdin Großer preßt sich Brunos Erinnerungen mit einem Pathos aus dem Leib, daß es in der Seele geschmerzt hätte, wäre seine Deklamation nur glaubwürdig gewesen. So merkt man ihm vor allem die Anstrengung an und die Peitsche eines Regisseurs, der Leidenschaft sehen will. Ebenso plakativ schwarzweiß wie das Bühnenbild (Georg A. Weth) sind auch die Rollen angelegt. Bruno hat öfter unangemeldeten Besuch – es scheint sich um eine Art offenen Vollzug zu handeln. Dem rechtwinklig gebeugten Golem als Gefängniswärter folgt ein Inquisitor, dessen Bewegung sich auf eine 90-Grad-Drehung beschränkt und der mit gekünstelter Steifheit seinen Text aufsagt. Das muß so sein, erklärt der Regisseur später, weil wir kein Actiontheater machen und zeigen wollen, daß die katholische Kirche verstockt ist. Wer hätte das gedacht? Hierauf folgen zwei Mönche, die wie mechanische Wackelhündchen mit den Köpfen nicken und Bruno in synchronem Singsang zum Beten auffordern. Der träumt von seiner idealisierten Liebe Diana. Prompt tänzelt ein in Gardinenschleier gehülltes weibliches Wesen über die Bühne, zeigt ein bißchen Bein und sagt dazu ein Drewermannsches Gedicht auf. Kommt so was vielleicht vom Zölibat? Erbarmen!
Wie hätten Sie's denn gemacht?
Bei der anschließenden Diskussion zeigt sich Drewermann als Urheber wohlweislich nicht verantwortlich: „All Ihr Dank gilt Herrn Weth!“ Der erntete überwiegend Undank, obwohl er beteuerte, er hätte extra Schauspieler ausgewählt, die den Text verstünden, aber, so lenkte er ein, er wolle ja auch vom Publikum lernen: „Wie hätten Sie's denn gemacht?“ Das Publikum spaltete sich schnell in verärgerte Theaterfreunde und eingeschworene Drewermann- Fans, denen die Kunst völlig schnurz war: „Wie gut oder schlecht die Schauspieler waren, ist doch ganz unwichtig für unsere Zukunft.“ Ob Kritik oder Anerkennung („Herr Drewermann, ich verehre Sie ... ein klein wenig“), der Theologe sah milde in die Menge und versuchte mit salomonischer Weisheit zu schlichten: „Wir nehmen einfach zur Kenntnis, man kann das so fühlen oder so fühlen.“ Genau. Schließlich geht es doch um die Botschaft, die Bruno und Bruder Drewermann so eifrig und ohne Opfer zu scheuen gegen die katholische Kirche verfechten müssen und die doch so einfach ist, daß alle, nur eben die Kirche nicht, längst begriffen haben: Die Welt ist unendlich, und alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Anne Winter
Bis 8. Oktober in der Berliner Urania, danach Deutschlandtournee
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