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Minderheitsregierung mit Dame

■ Die türkische Regierungschefin Tansu Çiller hat ein neues Kabinett, das von der Duldung extrem nationalistischer Politiker abhängt. Ein Vertrauensvotum folgt

Istanbul (taz) – Die türkische Premierministerin Tansu Çiller wird künftig mit einem Minderheitskabinett regieren. Staatspräsident Süleyman Demirel bestätigte Donnerstag abend Çillers Vorschlagsliste für eine neue Regierung. Diese setzt sich ausschließlich aus Mitgliedern der „Partei des rechten Weges“ DYP zusammen.

Die Bildung einer neuen Regierung war notwendig geworden, nachdem die Koalition zwischen der rechtskonservativen „Partei des rechten Weges“ und den Sozialdemokraten, die seit 1991 das Land regierte, in die Brüche gegangen war.

Zwei im Parlament vertretene Parteien haben Tansu Çiller Unterstützung zugesagt: Die faschistische „Nationalistische Aktionspartei“ (MHP) unter dem Ex- Obersten Alparslan Türkes und die „Partei der demokratrischen Linken“ unter dem ehemaligen Ministerpräsidentin Bülent Ecevit. Obwohl es sich bei der neuen Regierung um ein Minderheitskabinett handelt, erfolgte die Regierungsbildung in enger Absprache mit den beiden Parteien. „Wir werden eng mit beiden Parteien zusammenarbeiten. Letztendlich ist es eigentlich eine Koalition. Die nationalen Fragen werden wir zusammen angehen“, sagte Tansu Çiller nach der Regierungsbildung. Sechs der 31 Minister stehen dem Faschistenführer Alparslan Türkes nah. „Die effiziente Bekämpfung der Terrorismus“ war die Bedingung von Türkes für die Unterstützung der Çiller-Regierung.

Nach Berichten der Istanbuler Tageszeitung „Cumhuriyet“ soll Türkes die Zusage erhalten haben, daß 6.000 Politkader der Partei verbeamtet werden. Bei der Ernennung der Gouverneure und Polizeipräsidenten will Türkes mitreden. Türkes – in den siebziger Jahren führte er die „Grauen Wölfe“, die für Tausende Politmorde verantwortlich waren an – verfügt bereits heute über starken Einfluß im Polizeiapparat und im Erziehungsministerium.

Schlechte Aussichten für die Kurden

Auch die Unterstützung des Kabinetts durch Bülent Ecevits „Partei der demokratischen Linken“ ist keine Überraschung. Der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Ecevit gilt zwar als populistischer „Arbeiterfreund“, zählt aber zugleich zu den Rechtsaußen in der türkischen Politik. Er gehört zu den nationalistischen Falken in der Kurdistan-Politik, der selbst den Begriff „Kurden“ verabscheut.

Nach der Kabinettsbildung rühmte Çiller Ecevit als einen „großen Staatsmann“. „Was den Nationalismus, die Bekämfung des Terrorismus und den Einheitsstaat betrifft, teilen wir im wesentlichen die gleichen Gedanken.“

Die ehemaligen Todfeinde Ecevit und Türkes posierten unterdessen als Unterstützer der neuen Regierung freundschaftlich vor den Fernsehkameras. Adnan Keskin, Generalsekretär der „Republikanischen Volkspartei“ titulierte Ecevit und Türkes als ideologische Brüder. Laut der Übereinkunft von Ministerpräsidentin Çiller mit beiden Politikern sollen im Frühjahr kommenden Jahres – nach der Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes – vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Ecevit und Türkes fordern die Einführung des Verhältniswahlrechts, damit ihre Parteien nicht benachteiligt werden.

Bis zum letzen Augenblick wird es unklar bleiben, ob nach der Regierungserklärung der neuen Çiller-Regierung das parlamentarische Vertrauen ausgesprochen wird. Mehrere Parlamentarier in der Fraktion der „Partei des rechten Weges“ bereiten Çiller Kopfzerbrechen. Die Abgeordneten, die eine große Koaltion zwischen der „Partei des rechten Weges“ und der „Mutterlandspartei“ fordern, haben erklärt, daß sie einer Minderheitsregierung nicht das Vertrauen aussprechen werden. Unter den Çiller-Opponenten ist der türkische Parlamentspräsident Hüsamettin Çindoruk, der aus Protest gegen das Minderheitenkabinett sein Amt niederlegte.

Falls Çiller bei dem Vertrauensvotum scheitert, sind die Chancen Çindoruks, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden und eine große Koalition bis zu den Wahlen anzuführen, recht hoch. Ömer Erzeren

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