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„Ideale Sündenböcke“

■ Kölner Kriminologe will den Begriff „Ausländerkriminalität“ verbannt sehen

Frankfurt/Main (epd) – Die große Resonanz auf seine Studie über „Ausländerkriminalität“ hat den Kriminologen Michael Walter überrascht. „Ständig kommen Anrufe“, sagt der Kölner Universitätsprofessor, der mit seiner Untersuchung differenzierte Antworten zu einem nach wie vor heiß diskutierten Thema gibt. Ausländer werden schneller einer Straftat bezichtigt als Deutsche, danach aber oft von der Justiz rehabilitiert, lautet sein Fazit. Der Begriff „Ausländerkriminalität“ führe zu Mißverständnissen und sollte aus dem Sprachschatz verbannt werden, schlägt Walter vor.

Ausländer stellen knapp ein Drittel der Tatverdächtigen, ihr Anteil an den Verurteilten beträgt aber nur noch rund 20 Prozent und an den Strafgefangenen 15 Prozent. Das hat der Experte von der kriminologischen Forschungsstelle in der Domstadt errechnet. Meist äußerlich leicht zu unterscheiden, der deutschen Sprache nicht in vollem Umfang mächtig, seien Ausländer die idealen „schwarzen Schafe“. Die Anzeige bei der Polizei im Konfliktfall wertet Walter häufig als „Zeichen von Hilflosigkeit, weil buchstäblich keine gemeinsame Sprache gefunden wird“. Kaufhausdetektive wüßten ein Lied davon zu singen.

Dabei hat Walter nur Ergebnisse zusammengefaßt, die nach seinen Worten unter Kriminologen unumstritten sind. In Deutschland leben knapp sieben Millionen Ausländer, das sind rund acht Prozent der Bevölkerung. Nach einer Übersicht des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden waren im vergangenen Jahr 30,1 Prozent der insgesamt 2,04 Millionen Tatverdächtigen „Nichtdeutsche“ – ein erheblicher Anstieg gegenüber 1984 mit 16,6 Prozent bei 1,25 Millionen Tatverdächtigen.

Walter plädiert angesichts dieser nicht nur von Bundesinnenminister Kanther als bedrohlich empfundenen Zahlen für eine differenzierte Betrachtung. Am höheren Ausländeranteil bei Straftaten sei nicht die Staatsangehörigkeit „schuld“. Kriminelle Verhaltensweisen hingen vielmehr mit Lebensumständen und sozialen Bedingungen zusammen.

Das schlechte Image einer Bevölkerungsgruppe, folgert der Kölner Forscher, bringt offenbar auch eine höhere Zahl von Tatverdächtigen hervor: „Die Feindbilder lösen sich je nach subjektivem Empfinden in der Bevölkerung ab.“ So hat bei stark ansteigenden Flüchtlingszahlen seit Mitte der achtziger Jahre auch der Anteil der Tatverdächtigen unter dieser Bevölkerungsgruppe zugenommen und die ausländischen Arbeitnehmer abgelöst: „Die verbreiteten Bedrohungsszenarien verursachen solche statistischen Veränderungen erheblich mit“. Wolfgang Plischke

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