Die Jagd nach dem Nobelpreis

Seilschaften und unlautere Machenschaften bringen das Nobel-Komitee in Verruf  ■ Von Martin Koch

Es ist wieder einmal soweit: die neuen Nobelpreisträger werden bekanntgegeben. Naturforscher erhalten den Preis in den Sparten Physik, Chemie und Physiologie/ Medizin. So wie es der schwedische Chemiker und Industrielle Alfred Nobel 1895 in seinem Testament verfügt hatte. Der Nobelpreis, der seit 1901 verliehen wird, gilt heute als die höchste wissenschaftliche Auszeichnung überhaupt. Kein Wunder, daß bei der Verleihung dieses bevorzugten Objektes der wissenschaftlichen Begierde neben persönlichen gelegentlich auch politische und ökonomische Interessen eine Rolle spielen.

Wer entscheidet eigentlich darüber, welcher Forscher einen Nobelpreis erhält? Für Physik und Chemie ist die Königliche Akademie der Wissenschaften in Schweden, für Medizin das Karolinische Medizinisch-Chirurgische Institut in Stockholm zuständig. Die beiden Körperschaften ernennen für jede Sparte ein Nobel-Komitee, das aus drei bis fünf Personen besteht und bei dem ausgewählte Wissenschaftler oder frühere Preisträger ihre Vorschläge einreichen. Auch die Komitee-Mitglieder selbst können Preisträger vorschlagen. Auf der Grundlage dieser Liste bestimmen die beiden preisverteilenden Körperschaften, wer den Preis erhält.

Doch wie überall, wo Menschen über Menschen entscheiden, ist auch bei der Vergabe des Nobelpreises die Möglichkeit der unlauteren Beeinflussung gegeben. Erst kürzlich sorgte ein solcher Fall für Aufsehen: 1986 nahm die italienische Biologin Rita Levi Montalcini den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung des „Nerve Growth Factor“ in Empfang.

Käufliches Nobel-Komitee

Inzwischen weiß man, daß die 85jährige Forscherin den Preis nur deswegen erhielt, weil der italienische Pharmakonzern Fidia 20 Millionen Mark ausgab, um die Entscheidung des schwedischen Nobel-Komitees zu beeinflussen. Das zumindest berichtete im vergangenen Jahr der ehemalige Chef der italienischen Arzneimittelbehörde dem Untersuchungsrichter, kurz nachdem er seinen lukrativen Posten verloren hatte. Die Fidia-Manager wollten damit den Absatz ihres angeblich nervenheilenden Medikaments Cronassial, das den Wachstumsfaktor als Wirkstoff enthielt, in die Höhe treiben. Von Anfang an war die Wirksamkeit von Cronassial umstritten. Trotzdem fand Cronassial in Italien reißenden Absatz, nachdem Fidia es als Medikament anpries, das auf den Forschungen einer Nobelpreisträgerin beruhte. Erst vor zwei Jahren wurde es wieder vom italienischen Markt genommen, weil es nachweislich Nervenleiden nicht heilt, sondern mitunter sogar auslöst.

Zu den wichtigsten medizinischen Entdeckungen der letzten Jahre gehört ohne Zweifel das Aids-Virus. Doch bis heute gab es dafür keinen Nobelpreis, was vermutlich Gründe hat, die außerhalb der Forschung liegen. Der Franzose Luc Montagnier und der US- Amerikaner Robert Gallo, die kurz hintereinander die Entdeckung des Aids-Virus bekanntgaben, führten mehrere Jahre hindurch einen aggressiven Prioritätsstreit. Wobei insbesondere Gallo die Forschungsleistungen seines französischen Kollegen herabwürdigte und sich in anmaßender Weise als alleiniger Entdecker des Aids-Virus präsentierte. Im Gegenzug warf Montagnier dem Amerikaner vor, die französischen Resultate einfach plagiiert zu haben. Es bedurfte der Initiative der Präsidenten Mitterrand und Reagan, um den Konflikt zu schlichten. Seither werden beide Forscher als gleichberechtigte Entdecker des Aids-Virus gehandelt.

Ihr Streit machte zugleich auf ein anderes Problem aufmerksam. Denn nicht Montagnier persönlich, sondern seine Mitarbeiter Françoise Barr-Sinoussi und Jean- Claude Chermann hatten das Aids-Virus als erste isoliert. Während Charles Daguet es zuerst unter dem Elektronenmikroskop entdeckte. Wer hat den Nobelpreis nun eigentlich verdient? Eine schwierige Entscheidung, für die es in der Vergangenheit Präzedenzfälle gibt. 1929 erhielten Frederick Banting und John James Macleod für die Entdeckung des Insulins die begehrte Trophäe. Doch nur Banting hatte tatsächlich im Labor des Instituts gearbeitet, gemeinsam mit Charles Best, der leer ausging. Dafür erhielt sein Chef Macleod die Auszeichnung. 1965 saß die Astronomin Jocelyn Bell vor den Meßgeräten des neuen Radioteleskops in Cambrigde, von ihrem Doktorvater Antonyn Hewish beauftragt, sämtliche Signale aus dem All zu registrieren und auszuwerten. Plötzlich bemerkte sie ein Signal, das regelmäßig alle eindreiviertel Sekunden eintraf. Eine solcher Gleichklang konnte nur irdischen Ursprungs sein, belehrte sie Hewish, womöglich ein Generator im Nebengebäude des Instituts. Aber Frau Bell empfing die ominösen Impulse auch aus anderen Himmelsrichtungen. Kurzum, sie hatte den ersten Pulsar entdeckt, eine kosmische Radioquelle mit pulsierender Strahlung.

Noble Beziehungen

1974 wurde diese Entdeckung mit dem Physik-Nobelpreis geehrt, den aber nicht Bell, sondern Hewish erhielt! Der fand das auch ganz in Ordnung. Schließlich habe Bell unter seiner Leitung gearbeitet. Es fällt auf, daß nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Nobelpreisträger US-Amerikaner waren. Allein zwischen 1972 und 1982 gingen 45 Preise über den großen Teich. Sind die Amerikaner vielleicht wissenschaftlich leistungsfähiger als die Forscher aus anderen Ländern? Die amerikanische Soziologin Harriet Zuckerman bestreitet das. Sie verweist statt dessen auf die US-Dominanz in den Gutachtergremien renommierter Fachzeitschriften, die schon so manches Wettrennen um den Preis entschieden habe. Zum anderen verstünden es die US-Forscher einfach besser, sich bei den Nobel-Komitees wirkungsvoll in Szene zu setzen. Beispiel: Für ihre Entdeckung des „zellulären Ursprungs der retroviralen Onkogene“ erhielten die Amerikaner J. Michael Bishop und Harold Varmus 1989 den Nobelpreis. Der Franzose Dominique Stehelin, der die eigentliche Laborarbeit leistete, wurde hingegen nicht berücksichtigt. Als er in Stockholm lautstark dagegen protestierte, war die Preisverleihung schon geschehen.

Und noch etwas Interessantes fand Zuckerman heraus, als sie die Nobelpreis-Statistik durchforstete. Wer bei einem Nobelpreisträger arbeitet, hat gute Chancen, irgendwann selbst den Preis in Empfang zu nehmen. Lines Pauling, Preisträger von 1954, arbeitete bei Erwin Schrödinger, der 1933 geehrt wurde. 1976 war der Pauling-Schüler William Lipscomb an der Reihe und fünf Jahre später dann sein Lehrling Roald Hoffmann.