: Ein Haus wie ein Auto bauen
Zuchtmeister oder Zukunftshoffnung? Der Fordismus als Gesellschaftsmodell faszinierte die nach Amerika schielenden Intellektuellen der Weimarer Republik und Architekten planten Wohnmaschinen ■ Von Robert Kaltenbrunner
„Zukunft aus Amerika“ war nach dem Ersten Weltkrieg etwas ungemein Verheißungsvolles. Die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung schien schwindelerregend. Was da die Massen in Deutschland ergriff, waren Bilder aus der „schönen neuen Welt“ der schnellen Autos, der „modernen“ Städte, der jugendlichen, vor Gesundheit strotzenden Männer und Frauen Amerikas. Kino, Reklame und Schlager versinnbildlichten eine Kultur, die auf individueller Freiheit und sozialem Wohlstand basierte.
„Fordismus in der Zwischenkriegszeit: Siedlung, Stadt, Raum“ – die Ergebnisse einer gleichnamigen Tagung am Bauhaus Dessau vom Oktober 1992 sind jetzt in einem ansprechenden Buch dokumentiert. Was für die damalige Rezeption galt, zeigt auch bei den Autoren Wirkung: Weniger das Ziel als vielmehr der Prozeß ist Gegenstand der Faszination. Aus dem Unternehmenskonzept Henry Fords machte man jenes „fordistische“ Akkumulations- und Vergesellschaftungsmodell, das auf eine weltweit zu erreichenden und effizient verwertbaren Mindestwohlstand für alle zielte. Fordismus als Erklärungsrahmen für die gesellschaftliche Modernisierung.
Eine gewisse Unschärfe allerdings war dem Begriff in Deutschland von vornherein mit auf den Weg gegeben, ein Aspekt den die Herausgeber des Bandes gut herausarbeiten. Es wurde unterschieden zwischen einem positiv eingeschätzten industriellen Strukturprinzip, technischem Fortschritt, sozialem Frieden und Wohlstand; und dem negativ eingeschätzten kulturellen Aspekt. Die Intellektuellen begeisterten sich für das Prinzip, die Hochhäuser, die amerikanische „Kulturlosigkeit“ jedoch stieß auf heftige Ablehnung. Für diese Ambivalenz steht Werner Sombart, der vom kapitalistischen Unendlichkeitsstreben fasziniert war, aber den „Amerikanismus“ geißelte als eine „Volkskrankheit wie Pest, Cholera, Lepra“, für die die Deutschen besonders anfällig seien. Oder Oskar Schlemmer, der 1923 die „Umkehrung aller Werte“, befürchtete: „Amerikanismus auf Europa übertragend, die Neue in die Alte Welt gekeilt, Tod der Vergangenheit, dem Mondschein und der Seele, so schreitet mit Eroberungsgeste die Gegenwart einher.“
Auch wenn die amerikanische Wirklichkeit dem in Deutschland rezipierten Ideal keineswegs entsprach – im Gegenteil: der Fordismus war in den USA bald wegen seiner „Scheinheiligkeit“ und militanten Gewerkschaftsfeindlichkeit in Mißkredit geraten –, feierten Begriff und angenommener Inhalt fröhlich Urständ und entfalteten enorme Wirkungen als Fortschrittsideologie. „Das Agieren Henry Fords und die regulierend eingreifenden Politiken erweckten den Anschein, als sei die integrierte Gesamtformel zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bereiche Produktion und Reproduktion entdeckt worden, als sei die ,Unsichtbare Hand‘ des Marktgeschehens stabil unter menschliche Kontrolle gebracht“, schreiben Regina Bittner und Henning Brüning. Als Fords Buch „Mein Leben und Werk“ 1923 in Deutschland erschien, wurde es in der von Verarmung und Inflation gekennzeichneten Nachkriegszeit vielen zu einer Heilslehre in eine glänzende industrielle Zukunft. Das ging soweit, daß in der Weimarer Zeit fast prinzipiell sozialer und technischer „Fortschritt“, wie Kurt Tucholsky es formulierte, mit weichem „d“ geschrieben wurde.
Nahezu synchron entwickelten sich sektorale Bezugsfelder des Fordismus und entfalteten in vielen gesellschaftlichen Bereichen enorme Wirkung. Die Analogie der Stadt oder der Wohnung „als Maschine“ ging dabei auf den Ford-Verehrer Le Corbusier zurück. Wobei in dessen Assoziationsbereich aus der Sicht von Harald Bodenschatz folgende Aspekte eine wichtige Rolle spielen: „Die Automatisierung des gesellschatlichen Raumes; die Peripherisierung der Stadt, die sich auch in den Stichtworten Funktionstrennung und Siedlungsbau ausdrückt, und die Diffusion der sozialen Massenwohnung.“ Die Vorstellung, Häuser wie Autos zu produzieren – der übrigens auch Walter Gropius anhing –, war ebenso ein fordistischer Analogismus wie die Idee eines „fordistischen Sozialstaates“. Eine ihrer Manifestationen, die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe – 1929 als Ausstellungs- und Mustersiedlung in rigider Zeilenbauweise angelegt – hat Adolf Behne schon damals aufs Korn genommen: „Hier wird der Mensch zum abstrakten Wohnwesen.“
Das war die unmittelbare, die physische Ebene. Sie kam aber auch auf einer mittelbaren, regionalen Ebene zum Tragen. Klaus Brake nennt exemplarisch das Städtedreieck Halle/Leipzig/Dessau als augenfälliges Modell für eine fordistische, zeitgemäße Raumorganisation. Diese kommt insbesondere in seiner Vernetzung zum Ausdruck, in dem Umstand, daß sich hier ein Kreis schließt der „zirkulären Verursachung: Von einem dominanten Standort wie Berlin aus wird eine großräumige territoriale Arbeitsteilung organisiert, die ergänzende dominante Standorte kreiert und von da aus Berlin erst zu dieser Art von Zentrale macht“. Hier wird also auch das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie nach arbeitsteiligen Kriterien neu definiert. Ein Modell im übrigen, dessen sich die Nationalsozialisten bei der Kolonisierung des Ostens bis zu Vervollkommnung bedienten.
Und das Bauhaus? Es schwankte zwischen den unterschiedlichen Rezeptionslinien des Fordismus. Versuchte die eine Seite, die Industriealisierung ästhetisch neu zu orientieren, zu kultivieren und die Menschen, insbesondere die angestellten Mittelschichten, auf die neue Welt im Sinne einer Formkultur einzustimmen, so war die andere Seite darum bemüht, Lebensreform- Versuche und deren wissenschaftliche Bezugsfelder für die Krisenbewältigung weiter zu entwickeln. Das Ergebnis spiegelt dabei eine größere Einheitlichkeit, als tatsächlich vorhanden war. Immerhin: Die symbolträchtige Sprache vermittelte den Glauben an Zukunft, den Sieg der Rationalität, eine Vollbeschäftigung am Fließband, Mindestwohlstand für alle und kulturelle Emanzipation durch die Technik werdenden Menschen. So konnte der Fordismus zum kulturellen Durchsetzungsmechanismus der industriellen Arbeitsgesellschaft werden.
Unter einem Titel, der sich anlehnt an H. G. Wells „Eine Zukunft aus Amerika“, wird in dem Buch der Versuch unternommen, das Fließband als Zukunftshoffnung, aber auch als Zuchtmeister darzustellen. Es geht darin weniger um eine Theorie des Fordismus, als vielmehr um verschiedenste Facetten einer von den USA aus mit beeinflußten Modernisierungstendenz und ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Tragweite. Herausgekommen ist ein biblipophiler Band, dem in interdisziplinärer Runde ein weiter Griff gelingt.
„Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit: Siedlung, Stadt, Raum“. Hrsg. von der Stiftung Bauhaus Dessau und der RWTH Aaachen, Dessau 1995, 388 S., Abb., 39 DM
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