■ Das Portrait: Leben mit Schiller
1991 verabschiedete sie sich von der Bühne – als Narr in Shakespeares „Was ihr wollt“. Sonst hat sie meist die mütterlichen Rollen gespielt, eine Inge Meysel des Ostens mit hochgekämmten Haaren, die Optimismus, Warmherzigkeit und Lebenserfahrung ausstrahlte. Arbeiterfrauen oder die Kinderfrau in Gorkis „Die Letzten“ oder Tschechows „Drei Schwestern“: Das Ost-Berliner Maxim-Gorki-Theater, dem Lotte Loebinger ab 1951 angehörte, hatte sich vor allem der osteuropäischen und sozialistischen Dramatik verschrieben. Doch Lotte Loebinger war schon früher mit der Arbeiterbewegung in Berührung gekommen.
Lotte Loebinger: Die linke Schauspielerin feiert heute ihren 90. Geburtstag Foto: Ullstein
Geboren wurde sie am 10. Oktober 1904 in Kattowitz; sie stammt aus einer jüdisch- protestantischen Arztfamilie. Die Eltern sterben früh, in Kiel lernt sie Verkäuferin und begeistert sich für Schiller. Sie geht aus eigenem Antrieb vorsprechen: die „Johanna von Orléans“. Es folgt eine Schauspielausbildung in Breslau, wo sie unter anderem Erich Mühsam und Herbert Wehner kennenlernt. 1923 Eintritt in die KPD, 1927 Heirat mit Wehner (von dem sie erst 1952 geschieden wird). Im gleichen Jahr wird Lotte Loebinger Elevin bei Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne: Ihn überzeugt sie nicht mit revolutionärem Pathos, sondern mit Schiller. 1930 wird sie Mitglied des Piscator-Kollektivs.
Ihre erste Filmrolle erhält Lotte Loebinger in „M“ von Fritz Lang. Mit Piscator dreht sie in der Sowjetunion, wohin sie 1934 via Prag emigriert. Die Stalinschen Säuberungsaktionen erlebt und überlebt sie – stillschweigend. „Wir waren alle Stalinisten“, sagt sie sehr viel später in einem Zeitungsinterview.
1945 kehrt sie nach Berlin zurück und erhält bereits 1951 den Nationalpreis der DDR, wirkt in vielen Defa- Produktionen mit. Später arbeitet sie viel mit dem Regisseur Thomas Langhoff, spielt auch in seinen Fernsehfilmen „Guten Morgen, du Schöne“ und „Ich will leise sterben“ mit. Langhoff schätzt an ihr, daß sie auch kleine Rollen ernstnimmt: „Eigentlich ist jede Figur natürlicherweise Lotte Loebinger, dennoch hat jede unverwechselbare, unverkennbare Eigenheiten.“
Als Lotte Loebinger in Kiel noch eine kleine Verkäuferin war, hatte sie sich einen „Doppelberuf“ vorgestellt: „Ich würde tags im Laden stehen und abends gute Literatur in irgendwelchen Lokalen rezitieren.“ Heute wird Lotte Loebinger 90 Jahre alt. Sabine Seifert.
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