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Gaddafis Embargowirtschaft

26 Jahre nach der Revolution ist Libyens Wirtschaft am Ende. Mißwirtschaft und der gesunkene Ölpreis sind dafür verantwortlich  ■ Aus Tripolis Thomas Dreger

In den Straßen von Tripolis türmt sich der Müll. Die Ausdünstungen lassen erahnen, daß die großen Abfallhaufen schon länger dort liegen. Vor fünf Jahren ließ die Staatsführung der „Sozialistischen Libyschen Arabischen Volks-Dschamahiryia“ die Müllabfuhr abschaffen. Keine LibyerIn sollte den Dreck eines/r anderen wegräumen müssen, lautete die damals ausgegebene revolutionäre Parole. Statt dessen habe jede/r seinen/ihren Abfall zu staatlichen Müllhalden am Rand der Stadt zu bringen.

Aber 26 Jahre nach Muammar al-Gaddafis libyscher Revolution ist vielen der rund 1,5 Millionen BewohnerInnen der Hauptstadt dieser Weg zu weit. Aus dem Zentrum der Stadt herausgeschafft werden nur ausgemusterte Autos. Kilometerweit ziehen sich ihre Wracks am Rande der Ausfallstraßen.

In einem der wenige Cafés von Tripolis läuft der Fernsehapparat. Während Männer an Wasserpfeifen nuckeln und Tee schlürfen, ist auf dem Bildschirm Gaddafi zu sehen. Mitglieder einer Großfamilie bewirten den Revolutionär und musizieren anschließend ausgelassen zu dessen Erbauung. Zum Abschluß seines Besuches wird Gaddafi mit Geschenken überhäuft: Frauen und Kinder überreichen ihm Lebensmittel, Teppiche und schließlich ein Modell eines Flugzeugs der staatlichen libyschen Fluggesellschaft. Letzteres ist inszenierter Protest gegen das seit 1992 von der UNO gegen Libyen verhängte Embargo. Die USA und Großbritannien hatten auf die Sanktionen gedrängt. Weil der US- Geheimdienst CIA behauptet, aber nie bewiesen hat, daß zwei libysche Agenten für den Bombenanschlag auf einen US-Jumbo über dem schottischen Städtchen Lockerbie im Dezember 1988 verantwortlich sein sollen, dürfen libysche Flugzeuge den heimatlichen Luftraum nicht mehr verlassen. Die UNO will so die Auslieferung der angeblichen Lockerbieattentäter erzwingen.

Die libysche Führung beteuert ihre Unschuld an dem Tod der 270 Anschlagsopfer. Nach offizieller libyscher Lesart sind die Sanktionen verantwortlich für die zunehmende Verarmung der rund fünf Millionen libyschen Bürger Innen. Doch viele BürgerInnen sehen das anders. „In Libyen gibt es derzeit sehr viel Armut“, meint Khalid, „aber mit dem Embargo hat das nichts zu tun.“ Der libysche Student macht sich seinen eigenen Reim auf Gaddafis telegenen Familienbesuch. „Trotz Embargo produzieren wir jede Menge Öl, und Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland kaufen es auch. Warum geht es Libyen also wirtschaftlich schlecht?“

Tatsächlich ist die US-Regierung wiederholt damit gescheitert, im UN-Sicherheitsrat eine Ausdehnung des Embargos auf libysche Ölexporte durchzusetzen. 1994 pumpte Libyen täglich 1,38 Millionen Barrel Rohöl (1 Barrel = 158,987 Liter) aus der Erde. Der größte Teil davon ging an Abnehmer in Westeuropa. 2.450 Millionen Mark zahlte allein Deutschland im zurückliegenden Jahr für libysches Öl und Ölprodukte. Und weil europäische Industrieanlagen auf die chemische Zusammensetzung des hochwertigen libyschen Öls eingerichtet wurden, sind ihre Besitzer äusserst unwillig, sich umzuorientieren.

Aber wo bleiben die Einnahmen aus diesen Geschäften? Noch ist in Libyen mietfreies Wohnen eine Selbstverständlichkeit, und noch bieten staatliche Geschäfte hochsubventionierte Grundnahrungsmittel zu Spottpreisen an. Doch wer sich ein bißchen mehr leisten will, als das Existenzminimum — einen Streichkäse aus Frankreich oder ein Markenjeansimitat aus Italien — ist auf dem Schwarzmarkt mit Preisen konfrontiert, die schnell ein Monatsgehalt übersteigen.

Um die 250 Dinar verdient der/ die DurchschnittslibyerIn. Laut offiziellem Wechselkurs wären das 750 US-Dollar, aber auf dem Schwarzmarkt bleiben davon keine 80. Wer für eine Ölfirma in der Wüste arbeitet, kommt mit einem Zuschlag von 500 Dinar etwas weiter.

1994 soll die Teuerungsrate in Libyen nach inoffiziellen Schätzungen etwa 50 Prozent betragen haben. Zahlreiche staatliche Angestellte warten auf ihre Gehälter, einige seit fünf Monaten. Sie versuchen sich und ihre Familien als „private Taxifahrer“ und durch andere inoffizielle Dienstleistungen über Wasser zu halten. Die von Gaddafi in den letzten Wochen angedrohte und zum Teil durchgeführte Ausweisung von bis zu 600.000 AusländerInnen hängt unter anderem mit der maroden wirtschaftlichen Lage des Staates zusammen.

Diplomaten in Tripolis verweisen auf den gesunkenen Ölpreis als maßgebliche Ursache der Misere. Großprojekte, wie der ökologisch wie ökonomisch höchst fragwürdige „Man Made River“ — ein Bewässerungsprojekt, mit dem fossiles Wasser aus der südlibyschen Wüste in die Küstenregion gepumpt werden soll — wurden Anfang der 80er Jahre begonnen. Damals war Öl, bis heute Libyens einziges relevantes Exportgut, auf dem Weltmarkt noch rund doppelt so viel wert wie heute.

Seit 1980 sind die staatlichen Einnahmen aus dem Ölsektor von über 21 Milliarden US-Dollar um zwei Drittel auf im Jahr 1994 etwa sieben Milliarden US-Dollar zurückgegangen — ohne daß die UN-Sanktionen damit wesentlich zu tun hätten. Nur langsam scheint sich die libysche Führung damit abzufinden, daß die Zeit des Ölbooms vorbei ist. War noch bis vor wenigen Monaten vom Ausbau Libyens zur „Industrienation“ die Rede, verweisen Regierungssprecher mittlerweile auf die Landwirtschaft als künftige Einnahmequelle und den Wiederaufbau des Tourismus. Seit Juli hat Libyen mit dem Ingenieur Buchari Huda wieder einen Tourismusminister. Das Amt war von Gaddafi nach der Revolution im Jahr 1969 abgeschafft worden.

Beobachter in Tripolis fürchten jedoch, daß solche Überlegungen nach Jahren der Mißwirtschaft zu spät kommen. In der aktuellen Situation habe das UN-Embargo für die Staatsführung sogar stabilisierende Wirkung, sagen westliche Diplomaten. So meint einer: „Wir fragen uns manchmal, was Gaddafi ohne das Embargo machen würde. Nach seiner Aufhebung würde schließlich jeder merken, daß der Staat pleite ist.“ Libyens derzeitige Wirtschaftspolitik sei ähnlich vorausschauend wie einst die Abschaffung der Müllabfuhr.

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