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„Fundierte Entscheidung nach sechs Jahren“

■ Interview mit Wolfgang Nowak (SPD), Ex-Staatssekretär im sächsischen Kultusministerium

Nowak (52), jahrelang rechte Hand von NRW-Kultusminister Hans Schwier, zählt zu den innovativsten Bildungspolitikern in Deutschland. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf machte den Düsseldorfer Sozialdemokraten zum Staatssekretär in seinem ersten Kabinett. Doch nach der letzten Wahl mußte Nowak auf Druck der CDU-Landtagsfraktion den Posten räumen. Die CDU wollte nach dem Wahlsieg den Posten mit jemandem aus den eigenen Reihen besetzen. „Ich bin nach Sachsen gekommen trotz meines Parteibuches – und mußte gehen wegen meines Parteibuches“, so Nowaks Bilanz. Inzwischen arbeitet der Geschaßte – „ich werde hochbezahlt, damit ich nicht arbeite“ – als Lehrbeauftragter an der Privatuni Witten-Herdecke.

taz: Herr Nowak, drei Jahre hat die von Ministerpräsident Johannes Rau einberufene Kommission gebrütet, jetzt liegt das Ergebnis vor. Sind Sie beeindruckt?

Wolfgang Nowak: Teilweise schon, denn die Kommission verkündet nichts Geringeres als das Ende bisheriger Bildungspolitik.

Welche sind für Sie dabei die zentralen Punkte?

Daß Bildung öffentlich verantwortet werden muß. Das ist an sich etwas Selbstverständliches, aber diese zentrale Aufgabe ging bisher in dem allgemeinen Debakel um Ressourcen, Lehrereinsparungen, größere Klassen und weniger Geld unter. Über Bildungspolitik wurde immer dann diskutiert, wenn man sie als Steinbruch für öffentliche Einsparungen benötigte und einen Prügelknaben – den überbezahlten Lehrer mit den vielen Ferien – benötigte. Daß die Bildungspolitik aus dem allgemeinen System der Verwünschungen und der Strukturdebatte herausgeführt wird, das ist einer der ganz großen Erfolge dieses mir in manchen Punkten etwas zu weichen Berichtes.

In welchen Punkten zu weich?

Ich hätte mir gewünscht, daß die Verfasser sich klarer zu dem äußern, was sie versteckt fordern: das zweigliedrige Schulsystem. Ein Schulsystem mit zwei Wegen, das zum herkömmlichen Abitur führt und parallel ein Abitur im berufsbildenden Zweig ermöglicht. Diese Aufwertung der beruflichen Bildung ist eine große Leistung des Papiers. Bei dem herkömmlichen Abitur geht es den Autoren zudem nicht um das christdemokratisierte Abitur – das in der Kultusministerkonferenz jetzt angestrebt wird und wo nur noch leicht abprüfbare Fächer gefordert werden –, sondern um einen breiten, allgemeinbildenden Abschluß.

Gegen eine sechsjährige Grundschulzeit wettern schon jetzt CDU- Politiker und Philologenverbände, weil begabte Kinder um ihre Chancen gebracht würden.

Die sechs Jahre halte ich für richtig. Diese Vorgabe entspricht dem Entwicklungsprozeß eines Kindes und erlaubt eine fundiertere Entscheidung über den dann einzuschlagenden Bildungsgang. Was die CDU dazu sagt, ist schlichter Unsinn. Mit solchen Erklärungen wird das Gymnasium weiter zum Maß aller Dinge gemacht. Es geht doch heute darum, die Kinder – die sind das Maß aller Dinge – in einer veränderten Welt für die Zukunft fit zu machen. Die Kommission fordert ja gerade mehr Allgemeinbildung – und nicht deren Einschränkung. Und sie formuliert die Absage an die Hauptschule.

Wo bleiben die Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen? Das wird nicht ganz klar ...

Da drückt sich die Kommission in der Tat um eine klare Anwort. Diese Strukturfragen werden zur Lösung quasi den Gemeinden anheimgestellt. Wenn ich die Ausführungen zur autonomen Schule richtig verstehe, dann entscheidet die Schule künftig selbst, ob sie differenziert oder integriert unterrichten will. Aber sie läßt den Hauptschulabschluß weg und will alle Kinder zum Realschulabschluß führen – was ich für richtig halte.

Über die autonome Schule wird seit langem diskutiert. Glauben Sie, daß das umgesetzt wird.

Wenn ich die Presseerklärung der Landesregierung lese, dann wird konkret nur der weitere Dialog angekündigt. Da fürchte ich, daß die Ergebnisse des Papiers in einer Diskussion, im Gezeter der Verbände untergehen. Die Landesregierung müßte sich ein Ziel setzen und sagen: Ende nächsten Jahres legen wir einen Referentenentwurf eines Schulgesetzes vor, und darin werden wir die Vorschläge einarbeiten und den Neuanfang wagen. Doch ich fürchte, daß die Kraft nicht reicht, daß die autonome Schule zwar besprochen wird, aber keiner sie macht.

Sie kennen ja nun die „schwarzen“ und die „roten“ Bürokratien. Gibt es dort Leute, die darauf warten, auf den Reformzug aufzuspringen, ihn in Fahrt zu bringen?

Leute mit neuen Ideen haben es dort schwer. Es herrscht Anpassungsdruck, der den Leuten den Mut nimmt, neue Wege zu gehen.

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