: Erstaunlich, Jürgen Maly -betr.: Entlassungen im öffentlichen Dienst, hier Leserbrief vom 9.10.1995
Betr.: Entlassungen im Öffentlichen Dienst, hier Leserbrief vom 9.10.
Erstaunlich, Jürgen Maly, wie ihr es immer wieder schafft, die Plattfüße eurer Einzelinteressen in die Schnürstiefel der allgemeinen Moral zu zwängen. Tut das nicht weh? Jetzt soll ich mit Beamten solidarisch sein! Morgen vielleicht mit Zahnärzten oder mit der mittelständischen Wirtschaft? Und übermorgen gibt's dann Solidarität für alle. Zum halben Preis, versteht sich.
Dein „kreativer Vorschlag“ – Teilzeitarbeit ab 50 bei voller Renteneinzahlung – ist eigentlich verbesserungsfähig. Hier ist mein Vorschlag aus dem Erich-Mühsam-Utopien-Workshop: Ab 40 gar nicht mehr arbeiten – bei doppelter Rentenabführung und vorgezogener Auszahlung durch die öffentliche Hand. Nicht wahr, das ist doch noch viel „kreativer“, da hüpft das Herz hoch auf im Portemonnaie? Und neue Arbeitsplätze gibt's sicher auch gegebenenfalls vielleicht – oder so.
Versteht endlich mal: Es ist keine Suppe mehr da. Sogar der Suppentopf ist verschwunden. Deswegen gibt es keine Lösung, die den Beschäftigten volle Kellen verspricht. Weniger muß gerecht verteilt werden. Mit euren zuwachsgeleiteten Solidaritätsappellen vom hohen ÖTV-Roß herab treibt ihr – ähnlich den diätensüchtigen Politikern – die Entsolidarisierung in der Gesellschaft weiter voran. Das schadet denen, die mehr Solidarität zum schieren Überleben dringend bräuchten.
Die Einheit der vom Sparkurs Betroffenen beschwört ihr, weil euch plötzlich – und erstmals in Bremen – der Wind im Gesicht steht. Im öffentlichen Dienst ist einfach mehr zu holen. Mit den üblichen Initiativopfern läßt sich das Mega-Haushaltsloch nicht stopfen. Deswegen weint ihr über die unsolidarischen Spalter der Arbeitereinheitsfront treudeutsche Krokodilstränen. Wo wart ihr, als es in den Runden zuvor um die freien Träger ging? Klaus Jarchow
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