: Die Stasi lag mit auf der Couch
■ Kommission legt Bericht zu Mißbräuchen der DDR-Psychatrie vor. Senator Luther reagiert zögerlich
Gesundheitsenator Peter Luther (CDU) reagiert zu spät und zu zögerlich auf Vorwürfe gegen den früheren Stasi-Oberstleutnant und Psychiater Dr. Horst Böttger. Ehemalige politische Häftlinge belasten Böttger, der von 1978 bis 1989 im Stasi-Haftkrankenhaus Hohenschönhausen arbeitete, er habe im Zusammenwirken mit den Vernehmern gegen sie agiert. Dies wird auch in dem Bericht der Kommission zur Aufklärung von Mißbrauch in der Ost-Berliner Psychiatrie dokumentiert, deren Abschlußbericht Luther gestern vorstellte. Böttger betreibt bis heute als Nervenarzt in Hohenschönhausen eine Praxis.
Die Kommission kann „nicht nachvollziehen“, daß der Arzt bis heute als niedergelassener Arzt praktizieren dürfe und sieht „dringenden Handlungsbedarf“ im Hause des Gesundheitssenators. Böttger habe „in gröbster Weise seinen Beruf mißachtet“, erklärte Luther. Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht sei auch nach DDR-Recht strafbar gewesen. Doch könne er die Approbation Böttgers erst ruhen lassen, wenn der Verdacht einer Straftat besteht. Ein Patient Böttgers habe zwar im März Strafantrag gestellt, doch bis jetzt habe die Staatsanwaltschaft „noch keine Erkenntnisse“. Deshalb könne er nicht tätig werden.
Dem widerspricht der bündnisgrüne Abgeordnete Bernd Köppl entschieden. Es gebe neben dem Entzug der Approbation auch die Möglichkeit des Widerrufs, wenn schwere Verfehlungen des Arztes bekannt würden. Dies treffe bei Böttger zu. „Senator Luther hätte ein berufsrechtliches Verfahren einleiten können und sogar müssen“, hält der bündnisgrüne Abgeordnete Köppl dagegen. Köppl warf Luther zudem vor, zu spät zu reagieren. Dem Senator ist der Fall Böttger spätestens seit Anfang des Jahres bekannt, als die TV-Sendung „Kontraste“ über Böttger berichtete und dazu auch den Gesundheitssenator interviewte.
Während Köppl befürchtet, daß alles im Sande verläuft, kündigte Luther gestern an, daß der Abschlußbericht der Kommission erst den Beginn der Aufarbeitung darstelle.
Die unabhängige Kommission kommt in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, daß es in der DDR keinen systematischen Mißbrauch der Psychiatrie zu politischen Zwecken gegeben hat. Vereinzelt seien Psychiatriepatienten aber im Vorfeld von Staatsfeierlichkeiten in die Psychiatrie zwangseingewiesen worden. So wurden 1973 im Vorfeld der Weltfestspiele 64 Personen ohne die Notwendigkeit einer Behandlung eingewiesen. Nicht alle Ärzte waren willfährige Instrumente der Staatssicherheit, einige umgingen die Aufforderung zur Einweisung.
Vielfach verstießen die Psychiater aber gegen die ärztliche Schweigepflicht, in dem sie der Staatssicherheit Angaben über Patienten machten oder Krankenakten zur Einsicht weiterreichten. Dorothee Winden
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