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Ein größeres Chemnitz

Richtig falsch im Falschen leben: Johler und Ollys Berlin-Roman über Soziologen, Baulöwen, Altlinke und andere Leute wie dich und mich  ■ Von Anke Westphal

Da will man sich einmal einen netten Tag machen, und dann beginnt die Lektüre der Wahl – Verlagswerbung: „schwarze Komödie“ – ausgerechnet mit einem Skinhead-Überfall auf Ausländer. Am Berliner Winterfeldtplatz wird ein Falafel-Imbiß aufgemischt, ein lehrerhaft anmutender Mann, der den „Kanaken“ zu Hilfe kommt, niedergestochen.

Aha, denkt man, politisch einwandfreie Literatur inklusive Sozialpanorama. Aber dann liest man doch weiter.

Glücklicherweise, denn das anfängliche Ärgernis entpuppt sich nicht allein als korrektes, sondern kluges, heiteres und trauriges Buch über Lebenswege, die so gut durchdacht und geplant schienen und sich dann doch als vermurkst erweisen. Und das betrifft nicht etwa nur die Geächteten.

Ronstein heißt der exemplarische Held, ein Privatdozent für Soziologie mit Anwärterschaft auf eine Professur. Er ist ungefähr Mitte vierzig und hat sein Leben damit verbracht, sich zum „Veränderer“ hochzustudieren. „Sechsunddreißig Jahre Ausbildung“, nur hat er unterwegs das Verändern verlernt. Und daß Ronstein verheiratet ist, bedeutet inzwischen nicht viel mehr, als daß ihn seine Frau, eine erfolgreiche Architektin, die im Prenzlauer Berg „Gold gräbt“, ernährt. Beate schwärmt für Grünpflanzen statt für Kinder, und Ronstein befindet sich in Therapie, wenn auch nicht aus diesem Grund. So muß das mit den „Veränderern“ wohl immer gehen.

Das Paar ist umgeben von Freunden und Kollegen, deren Lebensentwürfe einem nur allzu vertraut vorkommen. Rührige Umweltunternehmer wie der Öko- Ekki im tomatenroten Jackett mit Fax und Handy, taxifahrende Altachtundsechziger, Therapeuten wie Schmidt-Heising, Filmproduzentinnen wie Renée Flaminger – in ihren wohlkonservierten Mittfünfzigern den jungen Liebhaber wie eine Trophäe mit sich führend –, zornige junge Regisseure um die dreißig, gar nicht so verachtenswerte Immobilienmakler wie Benski und miese, kleine Polizisten bevölkern das Berlin dieser Tage. Es kommt einem vor, als könnte dieser Roman, dessen Helden sich monologisierend wie in einem Reigen verketten, nirgendwo anders spielen. Andererseits ist dieses Berlin schließlich „auch nur ein größeres Chemnitz“.

„Bye bye, Ronstein“ von Jens Johler und Axel Olly saugt die Zweifel zweier Generationen an der deutschen Gegenwart auf wie ein Schwamm und quetscht sie dem Leser dann wie beim Fasching ins Gesicht. Was passiert, wenn sich die 68er und sogenannten 89er fern aller Feuilletons auf dem Privatparkett, in Betten und auf Partys, ihre historische Führungsrolle streitig machen? Was tun, wenn einen der Katzenjammer über die Kluft zwischen dem, was man unbedingt sein wollte, und dem, was man nun einmal geworden ist, überfällt? Wie sich entscheiden, wenn das richtige Leben im richtigen sich plötzlich als falsch erweist?

Ronstein zum Beispiel hat plötzlich alle Optionen: Er könnte für 100.000 Märker ein Drehbuch über den „Berlin-Blues“ schreiben, Projektleiter in einem Schloß oder auch, wie gewünscht, Professor werden. Es wird alles nichts, denn Ronny Ronstein „weiß nicht, was ich immer gewollt habe, aber das, was ich gemacht habe, ist darauf hinausgelaufen“. Ronstein, Beate, selbst Öko-Ekki in seinem korrekten Aktivismus werden der Unfähigkeit überführt, ihre Chancen auszuleben. Sie haben, ob Makler oder Intellektueller, phantastische Utopien irgendwann zugunsten pragmatischer Sicherheit aufgegeben, können sich das aber nicht offen eingestehen. Sie leiden und ziehen doch keine Konsequenzen aus ihrem diffusen Unglücklichsein. Die Autoren verübeln ihnen weder das eine noch das andere. Die Frage ist vielmehr, wie gut oder schlecht man damit zurechtkommt, wenn aus Ideen Geschäftsideen werden. Markus Dombrowski, der Regisseur, hat weniger Mitleid, als Johler und Olly haben: „Man kann mit diesen Leuten nicht reden. Irgendwie haben die alle einen Hau. Einerseits knallhart und karrieregeil wie jeder normale Mensch und andererseits noch immer mit diesem sentimental-sozialistischen Touch, der natürlich stark nach Konservierungsmitteln riecht ... Politisch korrekt, aber irgendwie voll daneben.“

Daß etwas schon lange nicht mehr stimmt, wird Ronstein klar, als er einen Brief aus Chemnitz bekommt. Dort soll er endlich Professor werden. „Bye bye, Ronstein“ entspinnt sich um Ronsteins Unfähigkeit, den Brief zu öffnen und die Entscheidung für oder gegen seine Ziele zu fällen. Den Grund nennt der Neurosenfachmann: „... wenn in dem Brief nun doch etwas anderes (als die Zusage, d. A.) steht, dann werden Sie auch jammern, weil Sie ja nicht nur Freiheit wollen, sondern auch Sicherheit: Vagabund mit Pensionsberechtigung sozusagen.“ Ronsteins Dilemma ist das einer „Generation, die niemals dreißig wurde, und man wußte nicht, war sie nun verzaubert oder verflucht.“ Der Beginn – vielmehr das Ende – mit dem Angriff der Skins macht dann doch Sinn.

Ronstein verläßt endlich die Warteschleife in seinem Leben. Zu spät und mit zuviel Pathos – die Realität da draußen hat Ronsteins linke Stammtisch-Theorien längst überholt. Mit Brecht zu sprechen: Er hat Vorschläge gemacht. Sie haben sie nicht angenommen.

Jens Johler / Axel Olly: „Bye bye, Ronstein“. Roman. Luchterhand Verlag, 163 Seiten, geb., 32 DM

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