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Zum Idioten gemacht

■ Leichtathletik-WM: Nebiolos Maulkorb für Schwedens Presse

Stockholm (taz) – Der 31. August 1995 war ein historisches Datum für das Verhältnis von Sport und Medien in Schweden. Die Veranstalter der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Göteborg riefen die Medien des Landes zusammen und verlangten, daß diese ihre negative Berichterstattung über Primo Nebiolo einstellten. Grund: Der Chef der Firma IAAF, des Leichtathletikweltverbandes, sei ungehalten über die respektlose Behandlung seiner Person, die Aufzählung seiner Skandale und die offenen Korruptionsvorwürfe. Der Maulkorb in Sachen Nebiolo ist aber in Wirklichkeit ein weiteres Kapitel der Skandalgeschichte dieses Mannes, wie die WM-Organisatoren jetzt eingestanden: Sie wurden von Nebiolo zu ihrer peinlichen Vorstellung erpreßt.

„Wir ließen uns aus wirtschaftlichen Gründen zu Idioten machen“, gestand WM-Boß Ulf Ekelund ein: „Nebiolo stellte klar, daß die IAAF es ansonsten teuer für uns machen würde.“ Als Veranstalter der Leichtathletik-WM mußte sich der schwedische Leichtathletikverband einen 1.700 Seiten dicken Vertrag diktieren lassen. Ein großer Teil der Unterbringungs- und Arrangementkosten, der Gelder von Sponsoren und für Übertragungsrechte wird bei solchen Großveranstaltungen mit der mächtigen IAAF abgerechnet, und den Veranstaltern war klar, daß rote statt schwarze Zahlen in der Schlußabrechnung stehen könnten, wenn Nebiolo seine Drohung wahrmachen würde. Ekelund: „Solche Verträge sind auslegungsfähig, sie hätten uns Veränderungen bei der Handhabung der Sponsorengelder oder der Werbung im Stadion aufzwingen können, welche uns Millionen gekostet hätten.“

Von zehn schlechten Alternativen, so Ekelund, sei daher das peinliche Zukreuzekriechen vor Nebiolo immer noch „die am wenigsten schlechte gewesen“. Nebiolo habe den Organisatoren die Verantwortung für das negative Medienbild seiner Person gegeben. Als sei Schweden eine Diktatur mit Medienzensur! „Wir müßten das in Ordnung bringen, wurde gesagt. Sie nahmen das Geld als Druckmittel“, denn, sagt Ekelund, „so macht die IAAF das immer.“

Trotz des Wohlverhaltens läßt die IAAF die Göteborg- Organisation jetzt auffallend lange auf die letzten Abrechnungen warten. Laut Ekelund habe man noch Forderungen über 14 Millionen Kronen (etwa drei Millionen Mark). Die schlechte Zahlungsmoral der IAAF habe zu ernsten Liquiditätsengpässen und großen Zinsverlusten geführt. Es sei aber mittlerweile klar, daß die WM mit etwa 15 bis 20 Millionen Kronen in der Gewinnzone lande. Das ökonomische Schlußresultat hänge nicht mehr von der IAAF ab. Das Organisationskomitee unter Ekelunds Führung machte deutlich, daß man absichtlich bis zu diesem Zeitpunkt gewartet habe, bevor man das üble Spiel Nebiolos hinter den Kulissen öffentlich machte.

Eine Erpressung, die im übrigen erfolgreich war. Nach der historischen Maulkorbkonferenz vom 31. August verzichteten die schwedischen Medien darauf, weiter in Nebiolos Skandalgeschichten zu wühlen. Reinhard Wolff

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