: Abgeordnete auf Diät gesetzt
■ ÄrztInnen wogen Volksvertretung und nahmen Maß in der Bürgerschaft
Diäten hin oder her – es gibt zu viele Dicke in der Politik, und das liegt am schweren Geld, das sie in der Tasche haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine medizinische Untersuchung, die gestern auf den Fluren der Bürgerschaft stattfand. Dort hatten sich sich mehrere ÄrztInnen postiert, um die PolitikerInnen auf Größe, Gewicht und Blutdruck zu messen.
„Wir gesund ist der neue Landtag?“, lautete das Motto der Weißkittel, welche die Abgeordneten hoffnungsfroh als VorreiterInnen betrachteten. Denn auch das gemeine Volk soll sich im Rahmen der „Ärztlichen Präventionswoche“ untersuchen lassen, die erstmalig ab dem 21. Oktober stattfindet und von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Kooperation mit der Bundesärztekammer bundesweit durchgeführt wird.
Doch die VolksvertreterInnen lehnten die ihnen ärztlicherseits verordnete Rolle ab. Das Gros der Bürgerschaftsabgeordneten wußte die Meßanlagen großräumig zu umgehen. So konnten die MedizinerInnen zu ihrem Bedauern die Hypothese von einem gewichts- und größenmäßig differenzierten Parteiquotienten nicht verifizieren.
Als wahre Meßmuffel erwiesen sich die Abgeordneten der AfB. In dem für die reservierten Feld auf der Wandzeitung dümpelte ein einziger Strich, der die Größe von Karla Hense-Brosig markierte. Anders bei den Grünen: Couragiert schob Geschäftsführer Arendt Hindriksen seine Fülle auf die Waage. Dr. Thomas Liebsch diagnostizierte „mindestens 10 Prozent Übergewicht“. In düsterer Vorahnung verweigerte Parteikollegin Christine Bernbacher den Schritt auf die Waage. „Das deprimiert mich“, meinte sie und hatte schon genug mit ihrem erhöhten Blutdruck. „Das liegt am guten Leben“, erklärte sie reumütig, „der Wein am Abend, gut kochen, gerne essen“.
Ralf Fücks glänzt zwar mit einem „bombigen Blutdruck“, bringt aber mehr auf die Waage, als ihm lieb ist. Nachdem er zunächst seinen schweren Geldbeutel dafür verantwortlich macht, gesteht er, „die Senatorenzeit hat mich verdorben“. Bei Karoline Linnert dagegen ist selbst der Blutdruck normal. „Wo ich mich doch gerade furchtbar aufgeregt habe“, wendet sie ein. Aber Aufregung ist bei Karoline Linnert auch normal. „Sie sollten diese Arbeitsplätze für gesundheitsschädlich erklären“, gibt sie dem Ärzteteam noch mit und flirrt davon.
Das meint auch Innensenator Ralf Borttscheller (CDU). Sein Blutdruck erreicht Spitzenwerte, sein Gewicht liegt mit 10 Kilo überm Schnitt. Der hohe Cholesterinspiegel, versichert er, sei anlagebedingt, den Genen anzulasten. Er müßte trotzdem, sieht der Senator ein, den Alkohol weglassen, die Zigarillos, müßte weniger essen und sich mehr bewegen, doch da gelte es zuerst, „den inneren Schweinehund zu bekämpfen“. Schuld an den Pfunden sei aber auch die dicke Luft in der Bürgerschaft.
Bürgermeister Nölle (CDU) macht seine Größe fürs Übergewicht verantwortlich. Seine 96 Kilo müßten sich, hat der Ex-Bankier errechnet, auf 2,10 Meter verteilen. „Das schaffe ich nie“, kommentiert er realistisch. Dafür ist sein Blutdruck bestens, während Sozialdemokrat Claus Dittbrenner dabei Rekordhöhen erreicht. Seine im Maßanzug verschwundenen, von der Waage aber gnadenlos angezeigten Überkilos summieren sich nicht allein durch Feuerzeug, Portemonnaie und sportbedingt schwere Knochen. Als die ÄrztInnen diese Erklärung kritisch beäugen, schiebt der ehrliche Sozi noch „Marzipan und Schokolade mit ganzen Nüssen“ nach.
Fast zu wenig auf die Waage bringt Gesundheitssenatorin Wischer (SPD). Selbst der Blutdruck liegt gut. Schelte gibt es natürlich fürs Rauchen, schließlich propagiert die Präventionskampagne „gesund essen und frei von Tabak“. Da haben die Prediger des Äskulabstabes in der Bürgerschaft noch einiges vor sich. Ob es beim einfachen Volk einfacher wird? dah
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen