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Stadtspaziergänge

■ betr.: „Geschichte abbummeln“, taz vom 23./24. 9. 95

„Agenturen, die auf eine langjährige Arbeit zurückblicken“, sind gut – die Qualität bei den kleineren Anbietern läßt oft zu wünschen übrig. So einfach, wie Euer Artikel das nahelegt, ist es leider nicht. Bei allen von Euch geschilderten „großen“ Unternehmen, sowie mehreren kleinen, habe ich Stadtspaziergänge mitgemacht – bei KulturBüro und Stattreisen war das Spektrum von sehr gut bis bodenlos – es kommt auf den jeweiligen Stadtführer an. Bei einem anderen Großveranstalter habe ich unter anderem beide Touren zur jüdischen Stadtgeschichte (Mitte und Schöneberg) mitgemacht: Touch-and-go-Verfahren mit antisemitischer Schlagseite.

Bei den „Kleinen“, die oft auf bestimmte Themenstellungen spezialisiert sind, steht oft viel Arbeit, Kompetenz, Engagement und Liebe zur Sache dahinter, was in Eurem Artikel nicht vorkommt. Da darf nur ein Vertreter der „Großen“ die unliebsame Konkurrenz abqualifizieren.

Die wirklich brisanten Aspekte wurden bei Euch ausgeklammert, die da wären:

– Warum hat jeder Anbieter (außer Gehwerk) jüdische Themen im Programm, ob man/frau Ahnung hat oder nicht. Viele Angebote dieses Themenspektrums kommen nicht ohne unterschwellig antisemitische Statements aus, viele StadtführerInnen, die das Thema anbieten, haben nur ein sehr embryonales Wissen, aber man macht es, weil es angeblich ein Renner ist. Gerade ein Vergleich dieses Spektrums bei den unterschiedlichen Anbietern wäre interessant gewesen, weil schnell deutlich geworden wäre, welche Seriosität dahintersteckt oder auch nicht.

– Wie schaut es mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis aus? Was bekommt der Stadtführer bei den Großen, und was geht an den Veranstalter? Ob und wie wird Recherchezeit vergütet? Bei diesen Fragen hätte Eure Redakteurin einige Überraschungen erlebt. Ferner sei die Frage erlaubt, warum bei den Großen so viele StudentInnen führen?

– Abkupfern: Aus eigener unliebsamer Erfahrung und der einer Bekannten kann ich Euch sagen: Es kommt zunehmend in Mode, daß Leute nach dem Motto „dreimal dabei und selber machen“ einen light-Verschnitt präsentieren. Auch große Anbieter sind nicht frei davon, sich – wissentlich oder unwissentlich – solche Rundgänge an Land zu ziehen und mit ihren größeren Marketing-Möglichkeiten auf den Markt zu schmeißen. Wer sich die Arbeit gemacht hat (Interviews, Archivarbeit etc.), hat fast keine Möglichkeiten, denn Urheberrecht gilt nur für schriftlich Fixiertes, das in Schriftform dargeboten wird.

Schade, daß Ihr dieses wichtige Thema ziemlich oberflächlich recherchiert habt. Meine These: Mit dieser Oberflächlichkeit reproduziert Ihr etwas von dem, was in einer ganzen Reihe von Stadtrundgängen läuft. Iris Weiss

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