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Umtrunk an getrennten Tischen

■ Zum zweiten Mal: AutorInnen aus Serbien, Bosnien, Kroatien und Slowenien trafen sich bei einem Literatursymposium im Rahmen des „steirischen herbst 95“

Es kann sehr nachteilig sein, erst am letzten Tag eines Literatursymposiums zu erscheinen. Und damit viele der Vorträge, Diskussionen und Lesungen versäumt zu haben. Der Vorteil daran aber ist, auf TeilnehmerInnen zu treffen, die geneigt sind, der verschlüsselten literarischen Botschaft Klartext nachzureichen. Enttäuschungen werden laut, Animositäten sichtbar, Lob und Tadel ausgestreut.

Die meisten AutorInnen, die vom 6.–8. Oktober im Forum Stadtpark Literatur auftraten, waren vor sieben Jahren schon einmal in Graz: unter ihnen Aleksander Tisma (Belgrad/Paris), Irena Vrkljan (Zagreb/Berlin), Filip David (Belgrad), Slobodan Snajder (Zagreb), Maruša Krese (Ljubljana/Berlin), Aleksander Flaker (Zagreb). Damals, 1988, wurde der Titel, „Das jugoslawische Labyrinth“ noch ganz unschuldig aufgefaßt. „Daß es zum Krieg kommen könnte, kam uns damals gar nicht in den Sinn“, sagt der Verleger und Kritiker Nenad Popović aus Zagreb. „Dabei hätten wir vielleicht schon die Spuren des Krieges in unserem eigenen Denken finden können“, befindet Dzevad Karahasan aus Sarajevo, der wie Popović damals ebenfalls in Graz war.

Für anhaltenden Gesprächsstoff sorgte schon am ersten Abend Aleksander Tisma. Die Bemerkung, es sei ihm damals wie heute vor allem um das eigene Wohlsein gegangen, klang in vielen Ohren zynisch. Und als er noch hinzusetzte, er habe aus seiner Haltung keinen Erkenntnisgewinn, den alle jene haben mögen, die sich um das Wohl der Menschheit und nicht um ihr eigenes kümmern, löste er bei manchen Zuhörern und Teilnehmern auch noch am dritten Tag anhaltendes Kopfschütteln aus. Distanz zum Geschehen zu halten und sich radikal als Individuum zu setzen, wird nicht akzeptiert; der Verdacht, hier wolle einer vermeiden, im Kriege Position zu beziehen, wurde von vielen geteilt. „Ich war enttäuscht von ihm“, bekennt Aleksander Flaker.

Daß der in Belgrad lebende Filip David sich über Politik ebenfalls nur äußerst zögerlich äußern wollte, mag vielleicht ein Hinweis auf die ungeheure Spannung sein, unter der serbische oder aus Serbien stammende Autoren stehen. Sein Beitrag zur Lesung – eine Wanderung durch Landschaften der Düsternis – erhielt den stärksten Beifall und bei manchen enthusiastische Zustimmung. David verstand es, den Gegensatz von Homo poeticus und Homo politicus zu vereinen, indem er zeigte, daß das Erschrecken über den Krieg und seine Ursachen nicht in abstrakten Kategorien verschwinden muß. Zur Rolle der Intellektuellen im Krieg mochte er sich selbst in der Schlußdiskussion nicht äußern. Lediglich, daß er als Freund des verstorbenen Danilo Kiš dessen Definition von Nationalismus „als die Ideologie von Banden“ teile. Deutlicher wurden andere. „Am Anfang“, antwortet Dzevad Karahasan auf die Frage der in Zürich lebenden Publizistin Ilma Rakusa nach der Rolle der Schriftsteller im Krieg, „war das Wort... Mit Worten wurde der Krieg vorbereitet – von Schriftstellern wie Dobrislav Cosić aus Belgrad. Ich machte mich damals lustig über die schlechte Literatur dieser sich national nennenden Schriftsteller, ich begriff nicht die Schlagkraft dieser Worte.“ Daß Cosićs Bücher über den Ladentisch gingen, andere nicht, hätte nachdenklich stimmen müssen. „All das, was später kam, war vorher in Worte gefaßt.“ Nicht Milošević sei das Problem, sondern die Kultur, die ihn erst ermöglicht habe. „Dies ist auch meine Schuld“, so Karahasan.

Der Ball, von Sarajevo in Richtung Belgrad geworfen, ist nicht aufgefangen worden. Der in der Belgrader Zeitschrift Vreme publizierende Dragan Velekić interpretierte die nationale Welle bei vielen Schriftstellern als persönlichen Ehrgeiz: Sie wollten sich in der damaligen Atmosphäre in den Vordergrund drängen. Für Rada Iveković, die sich selbst in einer „Diaspora“ verortet, gingen die Entwicklungen hin zum Krieg in Belgrad und Zagreb parallel vor sich. Ist daraus der Schluß zu ziehen, daß bei gleicher Verteilung der Schuld die von Karahasan geforderte Selbstüberprüfung überflüssig wird? Slobodan Snajders versöhnlicher Einwurf, daß die europäischen Schriftsteller vor dem Ersten Weltkrieg ähnlich versagten wie die in Jugoslawien, half nicht weiter. Auch nicht die Diskussion über den großartigen serbischen Schriftsteller Milorad Pavić. Wie ist es zu erklären, daß jener Kenner der unterschiedlichen Religionen und Kulturen im Herbst 1991 sagte, Vukovar würde nach dem Kriege in byzantinischem Stile wieder aufgebaut? Für den Slowenen Fabjan Hafner kann man Spuren dieses Denkens im nachhinein in Pavićs Werken finden.

Im nachhinein: Wenn es jemals eine Gemeinsamkeit in diesem Kreis von Schriftstellern gegeben hat – heute, 1995, scheint sie aufgebraucht. Obwohl sich alle verpflichtet fühlen, Haß und Nationalismus entgegenzutreten und weiterhin freundschaftlich verbunden sind, bleiben sie eingebunden in die Sichtweisen und Erfahrungen ihrer eigenen Nationen. Karahasans Bereitschaft zur Versöhnung reflektiert die Atmosphäre in Sarajevo ebenso wie die Vorsicht der serbischen Schriftsteller, die Kritik am serbischen Kontext zu überziehen, die Atmosphäre in Belgrad. Ehemalige Wanderer zwischen den Welten haben ihren Radius eingeschränkt: Maruša Krese sieht jetzt vor allem Sarajevo als Wirkungsstätte, Filip David harrt in Belgrad aus. Spät am Abend trafen sich noch einige Schriftsteller zum Umtrunk im Hotel: die serbischen an einem Tisch, Slowenen, Kroaten und Bosnier an einem anderen. Erich Rathfelder

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