piwik no script img

SS-Karriere als deutsches Schicksal gewürdigt

■ Die Technische Hochschule zu Aachen wird 125 Jahre alt und verdrängt vorbildlich die braunen Teile ihrer Vergangenheit. Studentenprotest in SS-Uniform

Aachen (taz) – Schon musikalisch war es ein hübscher Kontrast. Drinnen in der Aula beim Festakt wurde Wohlklang der Romantik gegeben – die Prominenz bis hin zu Landesvater Rau lauschte Mendelssohn-Bartholdys „Der Lobgesang“. Draußen dröhnte deutlich rustikaler Wagners wuchtiger Walkürenritt aus den Lautsprechern der etwa 200 studentischen DemonstrantInnen. Drinnen begrüßte der TH-Rektor die „hochansehnliche Festversammlung“, draußen stand zu lesen: „Hier tanzen die Täter auf den Gräbern der Opfer.“ Kein Zweifel: Die Mitglieder der Technischen Hochschule Aachen feiern den 125. Geburtstag ihrer Lehranstalt recht unterschiedlich.

Doch der drastischste Moment des Tages war mit Beginn der offiziellen Festlichkeiten schon passé. Mitten zwischen den vorfahrenden Limousinen der Prominenz hatte sich eine Edelkarosse gemischt, der direkt vor dem Hauptportal drei Figuren in vollem SS- und SA- Wichs entstiegen. Sie schlugen die Hacken zusammen, marschierten umher und erbaten sich den Hitlergruß. Hans Ernst Schneider schien samt Gefolge zurückgekehrt.

Schneider ist „Prof. Hans Schwerte“. Im Frühjahr war herausgekommen (siehe taz vom 2. 5. und 6. 5. 95), daß Schwerte, langjähriger Rektor der TH und hochbeachteter, vermeintlich linksliberaler „Grandseigneur der Germanistik“, in Wahrheit SS-Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider gewesen war. Er war dem Reichsführer SS Heinrich Himmer unmittelbar unterstellt. Die Affaire Schwerteschneider hatte wie keine zweite die Nachkriegsgeschichte der TH erschüttert und ist seitdem Beleg für die ungebrochene Unfähigkeit im Umgang mit jenen besonderen zwölf Jahren.

Noch vergangene Woche hatte die Fachschaft Philosophie eine Ausstellung mit Dutzenden von neuen Archivfunden präsentiert, die eine noch nicht bekannte Intensität von Schneiders Nazi-Tätigkeit belegen. Und vor allem, daß der „Drahtzieher im Hintergrund“, der heute 85jährig im Chiemgau lebt, damals intensive Kontakte zur Aachener Hochschule pflegte.

50 Jahre später arbeitet dort selbst – intern – seit Monaten ergebnislos eine Untersuchungskommission. Nach wie vor weiß die Öffentlichkeit nicht, wer denn alles vom Nazi-Kuckucksei S.-S. wußte, ob wirklich schon Ende der sechziger Jahre intern vom „Hans-Ernst- Schneider-Institut“ gewitzelt wurde, wer wen protegiert oder möglicherweise erpreßt hat und wer beteiligt war, als Schneider alias Schwerte 1965 seinen Ruf nach Aachen bekam.

Womöglich Schneiders SS- Spezi Arnold Gehlen? Nach aktuellen Recherchen des Stadtmagazins Klenkes war auch der prominente deutsche Soziologe wesentlich intimer in die NS-Strukturen eingewoben als bislang gedacht. Dokumente belegen die SA-Mitgliedschaft des Gründungsrektors des Aachener TH-Soziologie-Instituts und seine Verbindungen zum SS-Amt „Ahnenerbe“. Genau dort war Schneider federführend tätig.

Es war wahrlich kein festliches Jahr für die konservative Hochschule: Schwere Tumulte gab es diesen Sommer, als der ultrarechte Ideologe Prof. Rohrmoser einen Vortrag (auf Einladung der TH!) halten wollte und erst von Studierenden lautstark daran gehindert wurde. Rohrmoser vertrete doch nur „konservatives Gedankengut“, sagt der heutige Rektor Klaus Habetha und: „Was früher Mitte war, ist heute rechts. Was früher rechts war, ist heute ultrarechts.“ Störer sind's: „Schreien ist für mich faschistisch.“

Habetha nennt die Nachforschungen von außen eine „Behandlung von (Schein)Problemen der Vergangenheit“. Denn: „Permanente Selbstreflexion“ mache „unfähig“ für das heutige und morgige Leben. Und über die braunen Verstrickungen seiner Anstalt weiß er: „Die Täter standen ja auf studentischer Seite. Die Studenten waren es, die damals ultimativ gesagt haben, der und der Professor ist Jude, bei dem wollen wir nicht mehr hören.“

Im neuesten Vorlesungsverzeichnis und auch in der diese Woche erschienenen Festschrift der TH ist übrigens, als besonderes Kontinosum deutscher Geschichte, immer noch ein gewisser Hans Schwerte als Ex-Rektor und Ex-Ehrensenator aufgeführt. In seinem Festvortrag nannte Habetha dessen widerwärtige Karriere ein „deutsches Schicksal“. Es gab Beifall. Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen