: Der US-Regierung war klar: Der Krieg in Bosnien muß schnell beendet werden, sonst ist die Wiederwahl von Bill Clinton gefährdet. Daher startete sie eine „Friedensinitiative“ besonderer Art: Man ließ die UN-Schutzzonen von den Serben erobern.
Frieden schaffen – mit allen Mitteln
Der bosnische Präsident Alija Izetbegović hat die Ablösung von Yasushi Akashi als einen „guten Schritt der UNO“ begrüßt. Nach der Eroberung der ostbosnischen UNO-Schutzzone Srebrenica durch die Karadžić-Serben hatte die bosnische Regierung ihre Beziehungen zu dem UNO-Sondergesandten für Ex-Jugoslawien abgebrochen. Die Begründung: Mit seiner „zögerlichen und unentschlossenen Haltung“ habe Akashi der Eroberung Srebrenicas Vorschub geleistet.
Mit eben dieser Begründung müßte die bosnische Regierung eigentlich ihre Beziehungen zu Washington abbrechen. Denn nicht Akashi, sondern die Clinton-Administration war auf Grund von Erkenntnissen ihres Geheimdienstes rechtzeitig und im Detail über die serbischen Eroberungspläne informiert. Erkenntnisse, die sie nicht nur der UNO, sondern auch den Nato-Verbündeten vorenthielt. Die Clinton-Regierung hätte die Einnahme Srebrenicas, die sie öffentlich lautstark kritisierte, verhindern können. Dann wäre es auch nicht zu den nachfolgenden Erschießungen von vermutlich 3.000 männlichen Bewohnen der Stadt durch die Serben gekommen, über die die USA ebenfalls Filmaufnahmen hat.
Tatsächlich war die „ethnische Säuberung“ Srebenicas wie auch die der zweiten ostbsonischen Enklave Žepa Teil des Drehbuchs der US-„Friedensinitiative“ für Bosnien. Diese nun auch von den anderen vier Staaten der Kontaktgruppe unterstützte Initiative wurde im Mai/Juni im engsten Beraterkreis Clintons entwickelt. Vorrangiges Ziel war es dabei, das dreijährige Versagen der Clintonschen Bosnienpolitik rechtzeitig bis zum Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes 1996 in eine Erfolgsstory umzumünzen.
Die „Friedensinitiative“ folgt drei Prinzipien:
1. Nominell muß der Staat Bosnien in seinen international anerkannten Grenzen vom April 1992 zumindest bis zur US-Präsidentschaftswahl erhalten bleiben.
2. Der Krieg muß beendet werden.
3. Eine Wiederherstellung des Vorkriegszustandes ist allerdings nicht möglich. Durch die Aufspaltung des Landes in zwei Teile kann der Krieg nur dann beendet werden, wenn diese beiden Teile weitgehend ethnisch homogen sind.
Das Zulassen der Eroberung Srebrenicas und Žepas durch die Karadžić-Serben ist die logische Umsetzung dieser Prinzipien, Akt eins der Initiative. Ebenso wie die Aussage von US-Unterhändler Richard Holbrooke, die bosnische Regierung solle Goražde, die dritte ostbosnische Muslimenklave und UNO-Schutzzone, freiwillig aufgeben.
Die USA dulden die Vertreibung der Serben
Akt zwei der US-Initiative war die mit unterstützender Duldung Washingtons erfolgte Vertreibung der Serben aus der Krajina durch die kroatische Armee. Dies wiederum ermöglichte Akt drei: das Eingreifen kroatischer Truppen auf Seiten der bosnischen Regierungsarmee zur Rückeroberung serbisch besetzter Gebiete in Nordwestbosnien. So kann die bosnische Armee nun rund 50 Prozent des Landes kontrollieren, die militärischen Vorrauusetzungen für die Umsetzung des Teilungsplans der Kontaktgruppe wurden geschaffen. Die schweren Menschenrechtsverbrechen, die im Zuge von Akt eins und zwei der Umsetzung des Plans erfolgten, waren von den Clinton- Beratern natürlich nicht gewollt. Das enthebt sie aber nicht der politischen Mitverantwortung.
Der Logik der US-„Friedensinitiative“ entspricht, daß die amerikanischen Belege für die direkte Mitverantwortug Belgrads für den Angriff auf Srebrenica weiterhin unter der Decke bleiben. Ebenso wie die Informationen über die nachfolgenden Massaker an Tausenden männlichen Bewohnern der Stadt. Zumindest solange, bis Serbiens Präsident Milošević ein Friedensabkommen für Bosnien unterschrieben hat, dürften sie wohl kaum veröffentlicht werden.
Ansonsten käme der Chefankläger des Den Haager Kriegsverbrechertribunals, Richard Goldstone, nicht länger umhin, Vorermittlungen gegen Milošević und dessen Generalstabschef Perićić einzuleiten. Auf solche Ermittlungen gegen den obersten serbischen Militär drängen Mitarbeiter des Tribunals seit geraumer Zeit. Denn es liegen ausreichend Beweise vor, wonach Perićić für die serbischen Angriffe auf das herzegowinische Mostar im Jahre 1992 verantwortlich war.
Folgen hat die US-„Friedensinitiative“ schließlich auch für die bosnisch-serbische Führung. Gegen General Mladić und Radovan Karadžić erhob das Tribunal zwar bereits Anklage. Doch Milošević ernannte die beiden zu Mitgliedern seiner Delegation bei der für Ende des Jahres geplanten Pariser Friedenskonferenz. Um die Teilnahme der mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu ermöglichen, müßte der UNO-Sicherheitsrat den Haftbefehl des Tribunals zeitweise aussetzen. Da man die „Friedensinitiative“ nicht im letzten Moment gefähren will, wird dies von der Clinton-Administration vermutlich befürwortet werden.
Zumindest bis ein Friedensabkommen geschlossen ist, dürfte die Sonderberichterstatterin der UNO-Menschenrechtskommission für Ex-Jugoslawien, Elisabeth Hehn, vergeblich auf Zugang zu den Massengräbern bei Srebrenica drängen. Ihr Vorgänger Mazowiecki war Ende Juli mit dem Vorwurf zurückgetreten, die internationale Gemeinschaft habe die Eroberung von Srebrenica und Žepa durch die Serben zugelassen. Daß diese Eroberung Bestandteil einer „Friedensinitiative“ war, hatte Mazowiecki damals freilich nicht geahnt. Andreas Zumach, Genf
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