: Ein Deal zu Lasten der Umwelt
Die „Schlichter-Kommission“ will Genehmigungsverfahren beschleunigen. Ihre Vorschläge sind originell, aber ökologisch bedenklich ■ Aus Freiburg Christian Rath
Ein Chemiekonzern plant eine Innovation. Sein neues Produkt will er noch vor der Konkurrenz auf dem Weltmarkt präsentieren, deshalb soll die dazugehörige Produktionsanlage so schnell wie möglich in Betrieb gehen. Um dies zu erreichen, beantragt der Konzern bei den Behörden eine besonders rasch zu erteilende Genehmigung. Der Nachweis umweltgerechter Produktion muß dann erst unter Betriebsbedingungen geführt werden. Heute wäre dieses Vorgehen noch rechtswidrig, doch soll sich das ändern.
Denn künftig sollen InvestorInnen aus einer Palette unterschiedlich rascher Genehmigungsverfahren auswählen können. Entwickelt hat das Konzept eine von der Bundesregierung berufene Expertengruppe unter Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Otto Schlichter.
Umweltstandards sollen dabei nicht verringert werden, heißt es im Bericht der Schlichter-Kommission. Doch im Öko-Lager hält man das für ein bloßes Lippenbekenntnis. Bezweifelt wird vor allem, ob es im beschleunigten Verfahren tatsächlich möglich ist, auch nachträglich noch die erforderlichen Umweltauflagen durchzusetzen. „Wenn bereits Millionen investiert sind und vielleicht sogar der Verlust von Arbeitsplätzen auf dem Spiel steht, dann ist die Position einer Behörde weitaus schlechter, als wenn der Betreiber noch etwas von ihr will, nämlich die Genehmigung“, analysiert die Bielefelder Rechts-Professorin Gertrude Lübbe-Wolff.
Die neue Unübersichtlichkeit der Genehmigungsverfahren sorgt für weitere Probleme. Denn nach Auffassung der Schlichter-Kommission ist es Aufgabe einer „kundenorientierten“ Verwaltung, die Unternehmen durch den Dschungel unterschiedlicher Genehmigungsverfahren zu lotsen. Mit der Beratung der Unternehmen und der beschleunigten Antragsbearbeitung könnten die Behörden so überlastet sein, daß sie keine Zeit für Überwachungsaufgaben mehr finden, befürchtet die verwaltungserfahrene Lübbe-Wolff.
Bundesregierung findet Vorschlag gut
In Regierungskreisen fand das Schlichter-Gutachten dagegen regen Anklang. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Wirtschafts- Staatssekretärs Johannes Ludewig signalisierte im Sommer zu fast allen Punkten „Zustimmung“. Bis zum Jahreswechsel sollen entsprechende Gesetzentwürfe vorbereitet werden.
Da der Tausch von Zeitgewinn gegen das Risiko nachträglicher Behördenintervention auch aus Sicht des Unternehmens nicht unproblematisch ist, hatten UmweltschützerInnen darauf gehofft, daß in dieser Frage auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) auf ihrer Seite stehen könnte. Tatsächlich soll es im BDI auch einige interne Beratungen in dieser Frage gegeben haben. Offizielle Einwände wurden aber nicht erhoben, da letztlich ja die InvestorInnen selbst entscheiden, ob sie die neuen Optionen nutzen wollen oder nicht. Der BDI-Umweltexperte Horst P. Sander glaubt sogar, daß die „Sonderbeschleunigung nach Wahl“ für viele Unternehmen interessant sein könnte: „Die meisten Genehmigungsverfahren betreffen Betriebe, die schon lange an einem bestimmten Standort präsent sind. Die kennen ihre Nachbarn und die Behörden und können dann auch gut das Risiko einschätzen, das mit einer vorläufigen Genehmigung verbunden ist.“
Die Schlichter-Kommission schlägt außerdem sogenannte Rahmengenehmigungen vor. Die sollen Betriebe erhalten können, die regelmäßig Umweltbetriebsprüfungen (Öko-Audits) durchführen. Der Behörde müßte nur noch die Einhaltung der „wesentlichen gesetzlichen Vorschriften“ nachgewiesen werden. Doch auch hier zweifeln Umweltschützer. Betty Gebers vom Öko-Institut gibt zu bedenken: „Das Öko-Audit sollte ein Instrument für Unternehmen bleiben, die ernsthaft eine Umweltverbesserung anstreben. Wenn es jedoch dazu benutzt werden kann, möglichst leicht eine Anlagengenehmigung zu erhalten, kommt das System in Verruf.“
Nach einer Untersuchung des Öko-Instituts sind die Genehmigungsverfahren in Deutschland ohnehin nicht so lang, wie die Industrie glauben machen will: „Etwa die Hälfte der Verfahren in der Bundesrepublik ist nach sechs Monaten, der überwiegende Anteil innerhalb eines Jahres beendet.“ Man konnte eben nicht von der WAA Wackersdorf auf ein normales Genehmigungsverfahren schließen. Beim Öko-Institut hält man die Bemühungen der Schlichter-Kommission deshalb schlichtweg für überflüssig.
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