Kuhglocken-Kampf im Gerichtssaal

■ Der Allgäuer Kuhglockenstreit wird vor dem Landgericht Kempten verhandelt

Kempten (taz) – Es lag ein Hauch von Königlich-Bayerischem Amtsgericht über der Fürstäbtlichen Residenz zu Kempten, in der das Landgericht untergebracht ist. Zahlreiche Landwirte hatten den Weg in den großen Schwurgerichtssaal 169 gefunden. Ein Ofterschwanger Pensionsbesitzer und der Bauer Walter Haslach standen sich mit ihren Anwälten gegenüber. Bauer Haslach hat gegen eine einstweilige Verfügung geklagt, die ihm unter Strafandrohung (30.000 Mark) untersagt, den Milchkühen auf seiner Weide Schellen oder Glocken umzuhängen. Er will nicht einsehen, daß seine Kühe wegen ein paar Urlaubern, die sich bei einer Tennisübertragung im Fernsehen gestört fühlten oder wegen ein paar „Dauernörglern“, keine Glocken mehr tragen sollen. Und der Pensionsbesitzer, der sich nach Angaben seines Anwalts schon eine ganze Reihe von Morddrohungen eingehandelt hat, will es nicht hinnehmen, daß der Bauer „einen solchen Lärm verursacht“ respektive von seinen Kühen und deren Schellen verursachen läßt. Einen Vormittag lang versuchte das Gericht eine gütliche Einigung herbeizuführen, freilich vergeblich. Immer wieder ging es um die Kernfrage, ob nun der Lärm der Kuhglocken als „wesentlich“ im Sinne des Paragraphen 906 BGB anzusehen ist, oder als „unwesentlich“. Unwesentlichen Lärm hat nämlich ein Nachbar schlichtweg hinzunehmen. Wesentlichen Lärm kann er unter ganz bestimmten Umständen gerichtlich untersagen lassen. Der Vorschlag des Vorsitzenden Richters Johann Spindler, Bauer Haslach möge doch einfach den unteren, unmittelbar an die Pension angrenzenden Teil seiner Standweide, abtrennen und dieses Stück beim Weidebeginn zunächst abgrasen lassen, ohne dabei seinen Kühen Glocken oder Schellen anzuhängen, stieß beim Kläger auf wenig Gegenliebe. „Unpraktikabel“ befand der Rechtsanwalt von Bauer Haslach. Der Rechtsanwalt des Pensionsbesitzers machte in einer Verhandlungspause noch einmal deutlich, daß seinem Mandanten die Sache ausgesprochen ernst sei. Mehrmals sei er Opfer anonymer Anrufe gewesen, die ihn sogar mit Mord bedroht hätten. Tatsächlich wollte auch im Gerichtssaal nicht sonderlich viel Verständnis für ihn aufkommen. Immer wieder war von Zuhörern zu vernehmen, die Gäste, die das typische Geräusch der Kuhglocken nicht vertragen, sollten doch einfach woanders hinfahren. „Ich bin auch Bauer, und meine Kühe haben auch Glocken und Schellen dran. Und ich habe eine Weide auch direkt neben einer Pension, da hat sich noch keiner beschwert“, bemerkte beispielsweise Landwirt Max Wittwer. Er und seine Kollegen gehen von einer grundsätzlichen Bedeutung der anstehenden Gerichtsentscheidung aus, auch wenn der Vorsitzende Richter mehrfach betonte, es handle sich nicht um einen Präzedenzfall, sondern um eine Einzelfallentscheidung. Klaus Wittmann