Village Voice
: Arschtritte werden nicht verteilt

■ Zehlendorfer Befindlichkeiten: „Pussy-Pop“, die erste Voll-LP der Lemonbabies

Als es hieß, die Lemonbabies wollen ihr neues Album „Fotzenbonus“ betiteln, mußte man sich schon mehrmals am Ohrläppchen kratzen. Ausgerechnet die Lemonbabies sollten jetzt auf bewußt provokativer Girl-Linie arbeiten, sollten offensiv ihre Stellung im Popleben thematisieren? Wo sie doch damals in glückseligen Zehlendorfer Jugendheimzeiten einfach nur die Instrumente ausprobieren wollten, um mal zu fühlen, wie das so geht, das Musikmachen, und wo von postfeministischen Strategien keine Rede sein konnte.

In der Folgezeit brachten sie dann zwei kleinere Alben heraus, die nicht unbedingt unter den Ablagen Rrriot-Grrlism oder ähnlichem zu finden waren. Einfach nur nett war das, „Sunshine“-Pop sollte es sein, nicht mehr und nicht weniger, und live präsentierten sie sich meist brav, kichernd, wie von nebenan.

Ausgedacht war der Titel für das neue Album natürlich ohne ihre sorgsam denkende und planende Plattenfirma, die der Band schlicht untersagte, den Fotzenbonus einzuklagen. So ist aus „Fotzenbonus“ nun „Pussy-Pop“ geworden, was sich zuerst zwar ebenfalls ganz stachelig anhört, wo aber schließlich gerade durch den Tausch des Wörtchens „Bonus“ mit „Pop“ der Angelegenheit die Stoßrichtung genommen wird (oje, jetzt fließen auch hier beim Aufschreiben die Assoziationen frei und unbewußt).

„Pussy-Pop“ heißt es also, ihr erstes richtiges Volle-Länge-Album, und da die Lemonbabies jedoch schon seit Ende der Achtziger Musik machen, fällt sie sofort ein, die musikjournalistische Standardfrage nach der „Entwicklung über Jahre hinweg“, nach den „Unterschieden zu den vorangegangenen Veröffentlichungen“, und auch die Antwort klingelt gleich mit in den Ohren: Wir sind besser geworden. Wir haben mehr geübt. Wir haben mehr Konzerte gegeben. Punkt.

So ist es halt meist, auch bei den Lemonbabies: Die anfängliche Unbedarftheit ist einer bewußteren, ja reiferen Umgangsweise mit Sounds, Songs und dem Schreiben selbiger gewichen, niemand bleibt für immer jung und siebzehn. Auf „Pussy-Pop“ gibt es keine Sixties-Schleckereien mehr, keine Trällerliedchen, keine an sich sehr guten A-cappella-Songs, wie noch auf dem Major-Debüt „Poeck It“, die die Gesangstalente der Damen eigentlich am besten zutage förderten, sie nicht zugleich dem Verdacht aussetzten, die weiblichen Prinzen sein zu wollen.

Die neuen Songs sind alle etwas ausgeklügelter als ehedem, sind fetter angelegt, insbesondere der Baß brummt an vielen Stellen ganz ordentlich. Ausbleiben tut es trotzdem nicht, daß einiges an Melodien klebenbleibt und gemeinhin wieder zum Mitschunkeln einlädt – nicht zuletzt, weil die Leomonbabies nicht gänzlich auf eine schön wabbernde Orgel verzichten wollten.

Nur einmal soll ein bißchen so was wie Traurigkeit, eine Art Balladenstimmung verbreitet werden, in dem Song „I Won't Forget The Night“, in dem Drummerin Julia die räumliche Entfernung zu ihrem Liebsten beklagt. Das klingt vom Atmosphärischen her etwas zu bemüht und will gar nicht zu der Band passen – obwohl: Auch hier wäre nur ein Umdenken in Hörgewohnheiten gefragt.

Viel Arschtritte werden inhaltlich auch in den anderen Songs nicht verteilt, die angestrebte Titelwahl des Albums paßt ansonsten wenig zu den eigentlich ganz braven Befindlichkeiten und Unaufgeregtheiten – beispielsweise, daß wir alle individuell sein wollen oder nicht jedes Girl so begehrt ist wie die in den Foto-Love-Stories.

Trotzdem denken die Lemonbabies mittlerweile die Bedingungen, unter denen sie Musik machen, aggressiver mit, und ein bißchen leitet sich die Güte von Musik ja auch aus ihren Kontexten ab, so daß man hier den Prozeß in jeder Hinsicht gespannt weiterverfolgen darf. Gerrit Bartels

„Pussy-Pop“ (Dragnet/Sony). Am 17. 10., treten die Lemonbabies im Loft auf.