Ein bißchen Multikulti an der Wahlurne

■ Maastricht macht's möglich: Am 22. Oktober wählen zum ersten Mal ausländische Menschen deutsche Kommunalparlamente. 85 Prozent der Berliner Ausländer bleiben allerdings außen vor: Sie sind keine EU-B

Unter den 3,4 Millionen Einwohnern Berlins sind alle 184 Nationen der Welt vertreten. Jeder achte Berliner besitzt einen ausländischen Paß. Von diesen sind am 22. Oktober zum ersten Mal auch „Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen“ wahlberechtigt und wählbar. So steht es seit Anfang Juni in der Berliner Verfassung. Allerdings bleibt dieses EU-Bürgerrecht auf die Bezirksebene beschränkt.

Von den 423.000 in Berlin gemeldeten Ausländern hat zwar nur ein Achtel (54.000) den weinroten Paß der EU, doch in Charlottenburg oder Schöneberg zum Beispiel stellen die EU-Bürger über 3 Prozent der Wähler.

Die Ausländerbeauftragte Barbara John ist erstaunt, wie wenig die Parteien um das Wählerpotential der EU-Bürger werben. Sie hat das Gefühl, daß ihre Behörde weit mehr für die Wahlinformation der EU-Bürger tut als die Parteien. „Dabei können in manchen Bezirken die ausländischen Wähler über Mehrheiten entscheiden.“

„Wir müssen leider draußen bleiben“ heißt es allerdings an den Wahllokalen für die größten Ausländergruppen der Stadt: den Türken, die allein ein Drittel der Ausländer stellen, gefolgt von Jugoslawen und Polen.

Professor Faruk Sen vom Zentrum für Türkeistudien hat Erhebungen über politisches Interesse bei Ausländern ausgewertet: Seit den achtziger Jahren kann man seiner Einschätzung nach eine Hinwendung der Ausländer zur deutschen Politik feststellen. „Allein in der SPD sind bundesweit 27.000 Ausländer organisiert“, führt er als Beispiel an. „Dieser gesellschaftlichen Situation muß endlich ein allgemeines Ausländerwahlrecht Rechnung tragen.“

Wenigstens den Einstieg in das Ausländerwahlrecht brachten die Maastrichter Verträge. Die Einführung einer „Unionsbürgerschaft“ sollte auch gleiche Rechte für Unionsbürger in allen 15 Mitgliedsstaaten garantieren. Eine Ende 1994 erlassene EU-Richtlinie gab den Mitgliedsstaaten bis zum Ende dieses Jahres Zeit, das kommunale Wahlrecht für EU- Bürger einzuführen.

Wahlrecht ist Ländersache. Daher machten sich die einzelnen Bundesländer mit verschiedenem Eifer ans Werk. Berlin ist hier zeitlich und inhaltlich am fortschrittlichsten. EU-Bürger sind ohne einen Antrag automatisch im Wählerverzeichnis eingetragen, wenn sie in Berlin ihren Hauptwohnsitz angemeldet haben. Drei Monate vor der Wahl schrieben die Bezirkswahlämter alle im Bezirk gemeldeten EU-Bürger an, um sie über die Kommunalwahl zu informieren.

Andere Länder nehmen das Stimmrecht für EU-Bürger nicht so ernst. Zeitlich gerierte sich Bayern zwar als EU-Musterknabe und setzte als erstes Bundesland die Vorgabe um. Der Haken: Im Freistaat schöpfte man alle gesetzlichen Einschränkungsmöglichkeiten gleich voll aus: So ist man als EU-Bürger nicht automatisch im Wählerverzeichnis eingetragen. Zum Wählen bedarf es eines Antrags. Diese Variante nennt ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums „besonders EU- freundlich“, da ein „Gastarbeiter dadurch frei entscheiden kann, ob er nicht lieber in seinem peloponnesischen Heimatdorf wählen geht“. Bürgermeister- und Landratsposten bleiben in Bayern auch zukünftig fest in deutscher Hand. Denn mit dem Vollzug staatlicher Aufgaben könne man nur Deutsche betrauen, heißt es.

Auch in Bremen geht man die Umsetzung der EU-Richtlinie mit hanseatischer Gelassenheit an. Am 24. September bleiben für die EU-Bürger die Urnen bei der Kommunalwahl geschlossen. „Wir müssen uns überhaupt erst mal über die Umsetzung Gedanken machen. Wir haben ja eine neue Regierung“, erklärt Landeswahlleiter Fokko Kubanke.

Im Hause der Ausländerbeauftragten hat man an europäische Vereine geschrieben, um für die Wahl zu werben. „Wie viele wirklich hingehen? Da haben wir keine Ahnung, es ist ja das erste Mal“, meint Wolf-Dieter Pfützreuter, Stellvertretender Ausländerbeauftragter. „Wer mehr Wahlrecht haben will, muß wenigstens auf der unteren Kommunalebene zeigen, daß er Interesse hat.“ Eine hohe Wahlbeteiligung der EU-Bürger würde jedenfalls den Forderungen nach einem allgemeinen Ausländerwahlrecht auf allen Ebenen Nachdruck verleihen. Adrian Prechtel